[...] Die letzte Gruppe dieser Stilsucher endlich ist die merkwürdigste, ist die Sensation der Ausstellung. Hier hört jede Vergleichbarkeit mit früherer Architektur auf. Diese Tastenden wollen wieder Baumeister, Plastiker und Maler in einem sein. Der Wille ist gut, aber der Geist ist schwach. Finsterlin und Jefim Golyscheff gehen vom Körper aus, nicht vom Raum. Sie modellieren ihre Häuser wie aus einer teigigen Masse. Merkwürdige Pilzformen, Seetier- und quallenförmige Gebilde sind in zahlreichen Varianten hinphantasiert. Einige Grundrisse zeigen ein Knäuel von Stuben und Gängen, irrgartenartig verschlungen. Grade Wände sind prinzipiell vermieden. Es ist eine Erweichung des Formgefühls eingetreten, die sich auch aller Raumformen bemächtigt hat, wie sie in einer historischen Vorstufe, dem Knorpelwerk, nur im Ornament zutage trat. Golyscheff ist noch um einen Grad mehr kunstgewerblich eingeengt als Finsterlin, dem er aber wieder durch feineren Farbensinn überlegen ist. Er will die Formmasse seiner Architekturen mit Emailfarben bedecken und streut über die Lokaltöne kreisfärmige Muster, etwa in Zellenschmelz, hin. Ich zweifle, ob schon ein Geschlecht herangewachsen ist, das sich in solchen Labyrinthräumen wohlfühlen könnte, denn es müßte ein Geschlecht sein, das überhaupt keine Empfindung mehr für Proportionen und statische Symmetrie besitzt. Es gibt keine durchgehenden Achsen in diesen Bauten, vielmehr sind Gleichgewichtsabweichungen darin, die die technische Ausführbarkeit einfach ausschließen. Und doch ist ein Symptom in diesen Bauphantasien, das sie über bloße Spielereien erhebt. Es zeigen sich Ansäze zu rein gefühlsmäßigem Konzipieren, vom Untergehen des Subjektes, wodurch Unbewußtheit anstelle der Bewußtheit gesetzt wird. In der Architektur aber sind statische Achse und statische Symmetrie nichts anderes als anthropomorphe Bildungen, die der Architekt aus der Bewußtheit seiner selbst seinen Schöpfungen mitgibt. Das Schaffen aus der Unbewußtheit kennt sie nicht, es gestaltet triebhaft und unbekümmert. Der bewußte Abbruch aller Beziehungen, die die Architektur mit der Leiblichkeit, mit dem Ichbewußtsein ihrer Schöpfer verbindet, gibt diesen Bauphantasien den revolutionären Charakter. Die Richtung drängt nach einem Bauen, dessen treibende Kraft ein vom Verstand nicht bevormundetes Fühlen, eine ursprüngliche Naivetät ist, die wieder in einheitlichem Stil die Kunstgattungen zusammenfaßt. Von den molluskenartigen Architekturgebilden Finsterlins und Golyscheffs bis zu solchen Kunstwerken eines organischen Stils, der nicht mehr in Richtungen zerfällt, sondern von einer Weltanschauung getragen allen Mitbauenden Selbstverständlichkeit ist, ist aber noch ein weiter Weg. So bekennt auch W. Gropius im Geleitwort: "Es gibt ja heute noch keinen Architekten, wir alle sind nur Vorbereitende dessen, der einmal wieder den Namen Architekt verdienen wird, denn das heißt: Herr der Kunst, der aus Wüsten Gärten bauen und Wunder in den Himmel türmen wird."
[Der Cicerone, XI, 1919]