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reinhard döhl | text zur ausstellung giancarlo sangregorio (plastiken) und günther c. kirchberger (bilder)

meine damen und herren, sie sind hierhergekommen, um sich plastiken giancarlo sangregorios, was sie schon getan haben oder hoffentlich noch tun werden.

augenscheinlich ist das verfertigen von plastiken, um mit der vorstellung des gastes aus italien zu beginnen, für giancarlo sangregorio bewußtes handwerk, das er gegen betontes schöpfertum abgrenzt, so, daß seine fertigen handwerke die spuren ihrer herstellung nicht verbergen aber doch das kunstwerk erkennen lassen: als unwahrscheinliche anordnung von materialien. giancarlo sangregorio gehört dabei, wenn ich es richtig sehe, zu einer gruppe junger europäischer plastiker, deren problem die auflösung des volumens war. nicht mehr also die voluminösen gebilde henry moores um einen hohlraum sondern das skelett, gerüstähnliche gebilde, die giancarlo sangregorio und nicht nur er auf die flächige plastik reduzieren, fast stellbare wand, in deren rhytmischen schichtungen jede erinnerung an volumen aufgegeben scheint. auf keinen fall aber geht es um die gestaltung des raumes, wovon moderne plastiker ja auch sprachen.

man kann diese kurz skizzierte entwicklung an den hier aufgestellten plastiken giancarlo sangregorios gut verfolgen: von der zweiergruppierung im flur ausgehend, die durchaus figürliche erinnerung zuläßt: figürliches hockt sozusagen auf der stange, im gebälk, wie immer sie wollen, bis zur reliefartigen plastik im letzten raum, dem möglichen ende der skizzierten entwicklung entsprechend. was sie nicht sehen können, da es sich hier leider nicht aufstellen läßt, sind die darauf folgenden arbeiten giancarlo sangregorios, die ihn endgültig als eigenständigen plastiker ausweisen: - weshalb ich sie erwähnen möchte - steinblöcke, die er aushöhlt und in deren höhlung er wiederum steine hineinsteckt, die phallisch daraus hervortreten, antistatisch, was die wirkung auf den betrachter betrifft, antifigürlich und antiillusionistisch, was ihre intention angeht. in jedem fall aber, und das scheint mir das bemerkenswerte, verfällt giancarlo sangregorio nicht der gefahr vieler seiner landsleute, von vornherein das schöne herstellen zu wollen, und er tut dies nicht, indem er einerseits die spuren der herstellung nicht verbirgt, er tut es insbesondere nicht, als seine gebilde eben jenes maß an zerstörung, störung, zufall, an häßlichen: an überraschender verteilung der materialien zeigen, die das programmatisch geforderte kunstwerk ausmachen, das den betrachter reizt und das den ästhetiker interessiert.

ich möchte nachtragen, daß giancarlo sangregorio 1925 in mailand geboren ist, und daß die galerie müller ihn nun, nach der galerie gunar in düsseldorf, als zweite galerie in deutschland vorstellt, in der hoffnung, daß weitere galerien folgen werden.

meine damen und herren, sie sind aber auch hierhergekommen, um sich bilder von günther c kirchberger anzusehen, was sie inzwischen getan haben oder hoffentlich noch tun werden. zur person kirchbergers hat helmut heißenbüttel ein portrait geschrieben, daß sie im katalog nachlesen können. er erzählt dort auch eine geschichte der bilder. über beides brauche ich also nicht zu sprechen. stattdessen möchte ich die sache von einer anderen, subjektiven seite angehen, indem ich ihnen mitteile, was mir bei kirchbergers bildern auf- und eingefallen ist. ich beginne jedoch mit einem

hinweis

günther c. kirchberger gehört wie auch georg karl pfahler, friedrich sieber, atila biro zu malern, die sich erst im ausland, z.b. in england, durchsetzen mußten, bevor sie in stuttgart ihre erste ausstellung bekamen. ein blick auf die geschichte erweist dies jedoch als typisch für das schwäbische kunstinteresse und den stuttgarter kunstbetrieb, vom kunstverständnis ganz zu schweigen. als mitglied der gruppe 11 stellte sich kirchberger zum ersten mal 1959 in der damaligen galerie rauls als eigenständiger maler vor. und schon damals wurde deutlich, daß es ihm und nicht nur ihm vornehmlich um das problem der farbe, weniger um daß problem der form in der nachfolge kandinskys ging. aus der folgenden produktion, vor allen aus den jahren 1960/61, sehen sie hier nun eine auswahl von bildern, die die malerischen qualitäten kirchbergers gut repräsentieren, seine konzeption und sein repertoire ersichtlich machen, wie sie auch instruktiv erscheinen für das, was die konsequenz seiner entwicklung anbetrifft.

text

günther c. kirchberger tut nicht nur so, er malt abstrakt. das ist heute nicht mehr selbstverständlich. andererseits hält er die erfindung bz. die entdeckung eines physikalischen prozesses nicht gleich für kunst. auch das ist heute nicbt selbstverständlich. günther c. kirchberger bevorzugt große und mittlere formate. die mittleren setzen ihm mehr widerstand entgegen. deshalb malt er mit ihnen und darauf seine besten bilder. war er ursprünglich von der völlig zugemalten fläche ohne eindeutige farbigkeit, von enger struktur und beschränkter chromatik ausgegangen, so kehrte er 1959/1960 noch einmal zu der zugemalten fläche zurück, bei vorherrschaft der farbe.es gibt aus dieser zeit ein rotes bild: helleres rot befindet sich in und auf dunklerem rot. was sich später als fläche bezeichnen läßt, tritt auf und hervor. am oberen rand und zwischen den rots werde spuren von schwarz sichtbar, die im hintergrund bleiben. grundierte leinwand wird sichtbar, die die farbmassen zusammensehen läßt. farbmassen treten zusammen als sich konstutuierende flächen. das schwarz verläßt den zustand der spur und drängt sich vor. es drängt sich in gegensatz zu roten braunen grünen blauen möglichen flächen in den vordergrund als möglicher gegensatz. dabei kann es als fläche erscheinen. manchmal erinnert es auch entfernt an die gitter soulages'. dieser wirkung entzieht sich kirchberger, indem er zeichnungen einritzt die den flächigen hintergrund ersichtlich machen. nachträglich eingeritzte zeichnungen reißen das schwarz auf und lassen es durchblicken. sie treten also zurück in die bildfläche und lassen dem schwarz keinen vortritt was augenscheinlich der fall ist. etwas flächiges tritt aus der fläche auf die es zurückfallt. balkenähnliche gebilde tauchen auf der freigewordenen leinwand auf und durchqueren die bildfläche von oben nach unten. die spuren der herstellung sind unverändert sichtbar. balkenähnliche gebilde tauchen ab und verlaufen sich auf der leinwand. sie sind u.a. blau gestrichen.

vorgang

massen von farben treten auf aufeinanderzu aufeinander wie rot auf rot eins zum andern eins in eins. spuren sind sichtbar. spuren von schwarz tauchen aus dem hintergrund auf und lassenm flächen erscheinen. farbflächen erscheinen in massen von farbe die zusammentreten. massen von farbe ziehen sich in sich selber zurück. bloße leinwand erscheint und treibt massen von farbe vor sich her und zusammen zu flächigen teilen. flächige teile des bildes schieben sich in und aufeinander und stellen sich vor. spurenm von schwarz tauchen aus dem hintergrund auf und kommen zum vorschein. spuren von hintergründigem schwarz treten zu vordergründigen formationen zusammen.

leinwand stellt sich bloß und reizt den betrachter. balkenförmige farbige streifen erscheinen am rande und treiben bloßgelegte leinwand vor sich her und treten ins bild von oben nach unten hervor brechen sie ab. eingeritzte zeichen zerstören die schwarzen formationen und treten zurück zu gunsten von rot oder brau oder grün oder blau. es gibt zwischenstufen.

rot blitzt in rot auf grün in blau undsoweiter geschieht dies am rande am rade bricht etwas auf auf der fläche vom rande der leinwand die ich sehen kann löst ab und geht langsam vor es geht voran von dieser seite besehen geschieht es oder von jener wandert darüber hin über die fläche der leinwand aufeinander zu aufeinander ineinander zurück wird der vorgang zum spiel der erinnerung vor und zurück vor schritt nach schritt hinter schritt die sprache godots was ursprünglich nicht da ist und mir zukommt als zeichnung mir zukommt während es zurückgehalten wird und mir nicht zukommt. ich bin kein spielverderber. ich warte.

bilder sind gemalt und werden eingestrichen und übermalt weil sie nicht gelten. weil sie nicht stimmen. zwischen dem bild das ich sehe und der leinwand befindet sich ein anderes bild das ich nicht erkennen kann weil etwas zuvorkam. das bild das ich sehe ist also ursprünglich ein anderes das ich nicht mehr identifizieren kann. was ich nicht mehr mitansehen kann ich spüre es dennoch. spuren eines unkenntlich gemacht bildes treten heraus in das bild das ich betrachte. während ich das bild betrachte treten spuren auf die das bild beeinträchtigen und auftauchen aber unlöschbar sind oder aufblitzen eines nicht mehr sichtbaren bildes treten reste hervor mit den teilen eines bildes zusammen das ich betrachte. spuren der zerstörung treten in farben mit farben zusammen durch sie hindurch bezeichnen sie massen von farben die zusammentreten zu farbigen flächen oder flächigen farben die ich bewegen lasse treten spuren hervor und repräsentieren ein bild das ich vergessen habe aus meinem gedächtnis gelöscht und nicht vergessen kann und immer wieder entdecke was unlöschbar ist die erinnerung gehen wir: wir können nicht: warum nicht: wir warten auf godot: ach ja

da capo

wenn das bild das ich sehe ein prozeß ist in dem sich massen von farben bewegen und bewegen lassen und zusammen auseinander aufeinander zutreten undsoweiter übereinander die rot braun grün blau oder schwarz sind zu flächigen farben die bezeichnet werden wenn spuren auftauchen und durch die flächigen formationen hindurch an die oberfläche treten wenn etwas durch die fläche hindurchgeht und auf der leinwand erscheint was blau ist und in der leinwand sich verläuft und spuren eines fremden bilde in den prozeß eingreifen den ich beschreibe auftreten vortreten und spürbar erscheinen spuren eines zurückgetretenen bildes das mich beschäftigt.

[galerie müller stuttgart, 15.4.1961]
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