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Reinhard Döhl | Contrecollagen & Decollages-Imprimes

Reinhold Köhler bezeichnet seine Arbeiten gleichsam an der Oberfläche bevorzugt durch Angabe ihrer Machart. Diese Decollages-Imprimes und Contrecollages stellen dabei (zusammen mit Decollagen, mit denen Koehler bekannt wurde, und den Thorax-Bildern) in einer zweiten Annäherung mehrere Aspekte einundderselben Tendenz dar, wobei ich Tendenz im Sinne der methodischen Absicht, im Sinne des künstlerischen Programms verstanden wissen möchte. Was ihnen allen gemeinsam ist, ist eine Tendenz zur Destruktion von etwas Vorhandenem, zur Deformation, zur Zerstörung (wie immer man will). Man kann sich das leicht verdeutlichen, wenn man sich einen Katalog jener Wörter zusammenstellt, die zur Beschreibung dessen, was auf den Arbeiten Koehlers zu sehen ist, wie zur Beschreibung der Methode ihrer Herstellung aufgewendet werden müßten. Ich beziehe mich dabei im folgenden - auch um mich nicht unnötig dem Vorwurf der Subjektivität auszusetzen - auf mir vorliegende Katalogvorworte, Ausstellungseröffnungen und ähnliches und gebe in Stichworten einen solchen Katalog:

Zerschlagen, abreißen, reißen, Schnittspuren, Reißspuren, Glassprünge, Kraterpunkte, Fraktur, zerschmettern, auflösen, Glasbruch, Zerstörung, Bruchstücke, zerbrochen, gesprungen, verschwinden, zerfetzt, Reste, fortgeworfen, plattgewalzt, Schrott, Verschrottung, destruktiv, Zerstörbarkeit, zerstörbar, demoliert, Zertrümmerung, gerissen, geschnitten, zerrissen, Zersplitterungen, gesprungen, Eingedrücktes, Aufgedrücktes, gegrätet, gesplittert, abgeschnitten, Sprünge, Risse, Einbrüche

undsoweiter undsofort. Mit Hilfe solch eines provisorischen Kataloges ließe sich bereits leicht ein Text improvisieren, der als literarischer Kontext zur Koehlerschen Bilderwelt gelesen werden könnte. Ohne mich hier mit den Strukturproblemen solcher Kontexte, mit ihren linguistischen Aspekten, mit sogenannten Wortfeldtheorien auseinandersetzen zu wollen, macht eine derartige mögliche Überführung einer Methode und ihrer Ergebnisse, allgemeiner: die Überführung einer Tendenz in die wörtliche Aussage - so meine ich - den Inhalt, das, was auf den Arbeiten Koehlers zu sehen ist, ihre Aussage annähernd deutlich. Und gleichzeitig scheint mir eine solche Überführung auch zu zeigen, wie sehr bei den Arbeiten Reinhold Koehlers Aussage und Methode aneinander gebunden sind, um nicht rückgekoppelt zu sagen. Anders ausgedrückt: das, was auf den Arbeiten Reinhold Koehlers zu sehen ist (also ihr Inhalt), und das, was dieses Sehbare erst sehbar macht, also die Methode, die Form der Herstellung bedingen sich nicht nur, Inhalt und Methode sind hier zur Deckung gebracht wurden.

Es wird - in Ablehnung solcher Kunstobjekte - heute gerne vom Verlust der Mitte gesprochen. Zwar hatte der Erfinder dieses geflügelten Wortes auch an den Verlust einer metaphysischen Mitte gedacht, die sich jedoch bereits seit der Renaissance verflüchtigte, - doch versteht man darunter heute allgemein und viel simpler den Verlust des traditionell erwarteten Bildgegenstandes, das Fehlen einer an ihn gebundenen Aussage. Nun ist der Bildgegenstand in seinen speziellen Ausformungen (Landschaft, Portrait, Stilleben) als Inhalt eine Verabredung gewesen, die (wie verabredete Kunstinhalte allgemein) abhängig war von der geistigen Struktur einer Gesellschaft, in der oder zu der im Gegensatz der Künstler arbeitete. und ein Blick auf die Geschichte, also die Entwicklung der modernen Künste macht sofort deutlich, daß der Vorwurf, die bildende Kunst sei in ihren derzeitigen (konsequentesten) Ergebnissen nicht nur gegenstandslos, sie sei in einem grundsätzlichen Sinne inhaltsleer geworden, daß dieser Vorwurf die gegenwärtige Kunst immer noch an gesellschaftlichen Gegebenheiten, an davon abhängigen geistigen Strukturen mißt, die so nicht mehr gegeben sind.

Die Entwicklung der modernen Künste setzt ganz konsequent ein mit der Deformation, also mit der Zerstörung/Auflösung (= der Analyse) des traditionellen Bildgegenstandes, etwa bei den Kubisten, und führt, ebenfalls bei den Kubisten, in der Synthese zugleich (etwa mit der Aufnahme der Schrift ins Bild) neue Bildinhalte, ein neues Verständnis von Bildgegenstand ein. Und mit diesen neuen Bildinhalten zugleich entsprechende neue Techniken, von denen die Technik des Collagierens die bekannteste sein dürfte.

Man wird sich ferner endlich mit dem Gedanken vertraut machen müssen, daß der Originalitätsbegriff oder die Vorstellung eines idealtypisch Schönen - längst ihre Gültigkeit verloren haben, und daß keine noch so modifizierte Abwandlung dieser Begriffe die Erzeugnisse gegenwärtiger bildender Kunst in den Griff bekommt. War das Bild des 19. Jahrhunderts etwa noch durch sein Motiv (ein Stilleben, Landschaft, Portrait etc.) fürs erste definiert, so sind zum Beispiel die Contrecollagen Koehlers durch die oben skizzierte Tendenz in einer ersten Annäherung bereits bestimmt. Gab es im 19. Jahrhundert noch eine Vielzahl der Möglichkeiten, ein Stilleben zu malen, so zeigen die Arbeiten Koehlers eine Anzahl Möglichkeiten, eine bestimmte künstlerische Intention in ihr entsprechenden Methoden zeigbar zu machen.

Um bei dem Beispiel der Contrecollagen zu bleiben: Man kann diese Arbeiten, und das ist auch versucht worden, im Zusammenhang, in der Tradition der sogenannten Hinterglasbilder sehen. Sie haben als (wenn auch neuen) Hintergrund in der Regel eine Collage. Aber das Glas ist nicht mehr Bildträger und Schutz dessen, was (wie Walter Benjamin es genannt hat) für den Besitzer des Bildes dessen Kultwert ausmachte. Indem Koehler nämlich das Glas zerschlägt, hebt er gleichzeitig die Trennwand zwischen Inhalt und Betrachter auf, bringt er - mit dieser technischen Manipulation - Inhalt und äußerliche Form zur Deckung. Und noch ein weiteres. Gewiß kommt der hinterlegten Collage als Bildinhalt kein Kultwert mehr zu. Da erkenne ich nichts wieder, an was ich mich als zugehörig erinnern kann (keine fernen Lieben, keine Verstorbenen, keine Heimat oder ähnliches). Und doch erkenne ich etwas wieder: Sprache - allerdings in ihrer verbrauchtesten Form, in Form zerrissener Gebrauchsanweisungen etwa, die in ihrer Zerstörung ihrer eigentlichen Funktion und damit auch meinem Verständnis entzogen sind. Das heißt: ich erkenne auf Koehlers Bildern unter anderem eine Sprache, die ich nicht mehr verstehe, die mir fremd geworden ist.

Ähnliches gilt für die Decollages-Imprimes, für die Abdrucke weggeworfener, wieder aufgehobener, plattgewalzter Konservendosen. Die Konservendose ist ebenso wie die Gebrauchsanweisung ein ganz konkretes Produkt unserer Zivilisation. Innerhalb unserer Zivilisation hat dieses Produkt seine genau beschreibbare Funktion. Hat es seine Funktion, seine Zweck erfüllt, wird es weggeworfen, wird es zum Abfallprodukt. Indem Koehler nun dieses Abfallprodukt, dieses objet trouvait - auch dieser Hinweis zeigt ihn ja innerhalb der Konsequenz modernen Kunstentwicklung - indem Koehler nun dieses Abfallprodukt aufnimmt und durch die Zerstörung der durch den ursprünglichen Zweck bestimmten Form, durch Plattwalzen und Abdrucken der plattgewalzten deformierten Form in ein künstliches Produkt überführt, entfunktionalisiert er die Konservendose, entfremdet er das Abfallprodukt seiner Zwecklosigkeit, überführt er das Zweckgebundene, zwecklos gewordene Produkt der Zivilisation in ein sinnvolles ästhetisches Produkt. Was Koehlers Decollages-Imprimes unter anderem zeigen, sind also keine Konservendosen, ist vielmehr so etwas wie die Erinerung an Konservendosen, die sich selbst und mir fremd geworden sind.

Vielleicht ließe sich dies sogar verallgemeinern derart, daß die Arbeiten Koehlers so etwas wie die Überführung von konkreten Gegenständen der Zivilisation (der Gebrauchsanweisung, der Konservendose etc.) in den geistigen Gegenstand des Bildes zeigen, wobei diese Überführung augenscheinlich nur möglich ist durch die Zerstörung der ursprünglich zweckgebundenen, zwecklos gewordenen Form. Das aber macht deutlich, daß solche ästhetischen Objekte weder willkürlich noch Kunst um der Kunst willen sind: Im Gegenteil scheinen sie in einer sehr faßbaren Weise an die Realität unserer heutigen Zivilisation gebunden, wenn auch ex negativo. Es ist allgemein von Adorno für die traditionelle Kunst festgehalten worden, daß sie als die strengste ästhetische Negation der Bürgerlichkeit, eben damit bis heute an die bürgerliche Gesellschaft gebunden gewesen sei. Nichts anderes kann man aber auch über die Arbeiten Koehlers sagen, wenn man bürgerliche Gesellschaft durch pluralistische Gesellschaft und technische Zivilisation ersetzt.

Es ist - um damit abzuschließen - über unsere Zivilisation pointiert worden, daß sie, um das Überleben zu garantieren, auf Perfektion aus sein müsse. Man kann, weniger pointiert, verallgemeinern, daß unsere Zivilisation durch eine Tendenz zur Perfektion gekennzeichnet ist, wobei Zivilisation technische Zivilisation und Perfektion technische Perfektion meint. Die Konservendose, die Gebrauchsanweisung sind Fakten, Produkte dieser Zivilisation. Indem Koehler sie ihrer Faktizität entzieht, überführt er den konkreten Gegenstand in den geistigen Gegenstand, überführt er ganz allgemein Zweck in Sinn, macht er Zweckloses (zwecklos Gewordenes erst) sinnvoll. Gebunden an die Realität unserer Zivilisation, spiegelt er sie gleichsam gebrochen in die Erinnerung an etwas, das in seiner Zerstörung fremd wird. Gegenüber dem Zwang zur Perfektion leistet sich Koehler gewissermaßen den Luxus, mit seinen Arbeiten Sand im Getriebe dieses Zwanges zu sein.

Es scheint mir symptomatisch, daß Koehlers Arbeiten keine Abbildungen, allenfalls Abdrücke von Realität sind, Überführung von konkreten realen Gegenständen in die Erinnerung und damit in etwas Geistiges. Kunstwerke seien, hat es Max Bill gesagt, Gegenstände zum geistigen Gebrauch. Reinhold Koehlers Arbeiten sind meines Erachtens solche Gegenstände, umso mehr, als ihre Inhalte keine Abbildungen von Welt, wie auch immer, sind. Was Koehlers Arbeiten sichtbar machen, was ich auf ihnen sehen kann, ist eine Tendenz, ein Gedanke, ausgedrückt durch die Form seiner Darbietung.

[Galerie Porta Wuppertal, 27.5.1967]