Jirí Kolár und die Stuttgarter Gruppe/Schule. Eine Spurensicherung.

[Pragreisen / Ausstellungen / Gemeinschaftsausstellungen / Veröffentlichungen / gemeinschaftliche Veröffentlichungen, Lesungen, Begegnungen etc.]

Let Let / Pokus o rekapitulaci 1. Praha: Rozmluvy 1993; Let Let / Pokus o rekapitulaci 2. Praha: Mladá fronta 1994; Let Let / Pokus o rekapitulaci 3. Praha: Mladá fronta 1994
Let Let. In Flug der Jahre. Geleitwort für die deutsche Ausgabe: Václav Havel. Aus dem Tschech. von Johanna Posset. Graz, Wien: Droschl 1994
Prag Stuttgart und zurück (Wilhelmspalais Stuttgart, 1994) 1961/1962 von Prag aus erste briefliche Kontakte mit Max Bense und der Stuttgarter Gruppe/Schule
1964 reisen Haroldo de Campos und Julio Medaglia über Stuttgart nach Prag ("mit Broschüren und Katalogen, die ihnen Professor Bense und Reinhard Döhl für uns mitgegeben hatten", B.G./J.H.) und besuchen u.a. das Atelier Jirí Kolár
"Pierre Garnier teilt uns mit, daß er sich mit visueller und phonetischer Poesie befaßt und ihm Professor Bense Joskas Adresse gegeben habe, weil es in der Tschechoslowakei ähnliche Tendenzen gibt" (B.G./J.H.).
Noch 1964 reisen auch Ilse und Pierre Garnier nach Prag und treffen sich dort mit den meisten tschechischen Experimentellen. Eine Folge des Atelierbesuchs bei und eines Gesprächs mit Jirí Kolár ist die 1965 in der Collection "Spatialisme" (Éditions André Silvaire) erschienene Mappe "Othon III - Jean d'Arc"
1965 collagieren bzw. drucken Jirí Kolár und Reinhard Döhl unabhängig voneinander ihre schnell bekannt werdenden Äpfel

zweimal äpfel 1965

     

Reinhard Döhl                                          Jirí Kolár

Ende 1965 eröffnet Helmut Heißenbüttel in Prag eine Ausstellung Reinhold Koehlers, der den tschechischen Experimentellen durch eine Abbildung in Max Benses "Augenblick" bekannt wurde, und besucht das Atelier Jirí Kolárs

Februar 1966 [im Anschluß (?) an die Ausstellung in der Pariser Galerie Riquelme, "68 collages de Jirí Kolár", 1.1.-2.2.1966] Ausstellung in der Studiengalerie der TH Stuttgart (Eröffnung 15.2.66)
Seither Intensivierung der brieflichen Kontakte (spaetestens seit 1964) mit Prag
1967 Beiträge in der von der Something Else Press (New York, Villefranche, Frankfurt/Main) und der Stuttgarter Edition Hansjörg Mayer herausgegebenen "Anthology of concrete poetry"

   

Slovo písmo akce hlas. K estetice kultury technického veku. Výber z eseju, manifestu a umeleckých programu druhé poloviny XX. století. Prag: Ceskoslovenský spisovatel 1967. (Mit Beiträgen u.a. von Helmut Heißenbüttel, Max Bense, Reinhard Döhl, Augusto de Campos, Décio Pignatari, Haroldo de Campos, Pierre Garnier, Seiichi Niikuni/Pierre Granier, Jirí Kolár)
experimentálí poezie, (Übers. von Bohumila Grögerová / Josef Hiršal). Praha: Odeon 1967. (Mit Beiträgen u.a. von Helmut Heißenbüttel, Max Bense, Reinhard Döhl, Jirí Kolár, Josef Hiršal / Bohumila Grögerová, Ernst Jandl, Konrad Balder Schäuffelen, Franz Mon, Václav Havel, Seiichi Niikuni, Ladislav Novák, Augusto und Harolde de Campos, Claus Bremer, Décio Pignatari, Jirí Valoch, Eduard Ovcácek, Hansjörg Mayer, Karel Trinkewitz, Klaus Burkhardt, Bela Kolárová, Josef Honys u.a.)
22.10-26.10.1968 Tage für neue Literatur in Hof
- 24.10.68 Eröffnung der Ausstellung "Poesie zum Ansehen - Beispiele konkreter und visueller Dichtung aus 3 Kontinenten" (Städtische Berufsschule) durch Reinhard Döhl, in der Jirí Kolár mit folgende Exponaten vertreten ist: "Baudelaire", "Básne Ticha", Gersaints / Aushängeschild", Birne und Apfel, Zwei halbrunde Formen (Photos).
22.11.1968 lesen in Niedlichs Buchladen Josef Hiršal, Josef Honys, Jirí Kolár,  Ladislav Novák, Jirí Valoch (vgl kritisches jahrbuch 2, 1972) und treffen sich auch mit Max Bense (25.11.), Reinhard Döhl und Helmut Heißenbüttel
14.3.-24.3.1969 Erster Prag-Aufenthalt Reinhard Döhls, bei dem er vor allem im "Slavia" viele der damaligen experimentellen Autoren und bildenden Künstler persönlich kennen lernt oder wiedertrifft
- 18.3.69 Vortrag Reinhard Döhls "O podstate Dadaismu" im Klub výtvarných umelcu Mánes (Einleitung Josef Hiršal; Übersetzung Bohumila Grögerová; unter den Zuhörern u.a. Jirí Kolár)
5.9.-15.9.1969 Zweiter Pragaufenthalt Reinhard Döhls
22.-25.10.1969 Tage für Neue Literatur in Hof
- 22.10.69 Eröffnung der Schaufensterausstellung maler dichter dichter maler mit Sonderschau Jirí Kolár und Bela Kolárová (Kaufhof-Passage) durch Reinhard Döhl
- 22.10.69 Eröffnung der Ausstellung Paul Krüger - Armin Sandig, mit Sonderkabinett Jirí Kolár durch Claus Henneberg
- 25.10.69 gemeinsame Lesung Jirí Kolárs, zus. mit  Bohumila Grögerová und Ilse Aichinger im Großen Rathaussaal

Anfang November 1969 Besuch Jirí Kolárs in Stuttgart, zus. mit Bohumila Grögerová und Josef Hiršal, Gästebucheintrag, Treffen mit Max Bense, Reinhard Döhl und Helmut Heißenbüttel
22.11.-25.11.1969 Dritter Pragaufenthalt Reinhard Döhls
- 24.11.69 Reinhard Döhl: Zed aner zítra je taky den. Szenische Realisation im Viola, Prag  (Regie: Miroslava Valová); unter den Zuschauern auch Jirí Kolár
1969 verlegen Edition und Verlag Boczkowski, Kassel, die Mappe Jirí Kolár: "Gersaints Aushängeschild", mit 6 signierten und numerierten Gravüren, Titelseite und Deckblatt von Reinhold Koehler für Jirí Kolár, sowie die Broschüre "und 2" unter dem gleichen Titel
1970 verlegen Edition und Verlag Boczkowski, Kassel, eine Mappe Bohumila Grögerová, Josef Hiršal: "intertexte / intertexty" mit 10 Intertexten und einer signierten u. numerierten Graphik "Doppelportrait" von Jirí Kolár, sowie die Broschüre "und 5" unter dem gleichen Titel
1970/1971 Beteiligung Jirí Kolárs an den in bzw. von Stuttgart aus mitaufgebauten Ausstellungen "Text Buchstabe Bild" (Zürich: Zürcher Kunstgesellschaft, Helmhaus 1970) und "klankteksten / ? konkrete poezie / visuele teksten" (Amsterdam: Stedelijk Museum 1970/1971; Antwerpen1971; Stuttgart 1971; Nürnberg 1971, ferner Liverpool, Oxford) und "Grenzgebiete der Bildenden Kunst (Konkrete Poesie / Bild Text Text Bilder / Computerkunst / Musikalische Grafik) (Staatsgalerie Stuttgart)

1971 erscheint, in Auswahl und Übersetzung von Tamara Kafková und Konrad Balder Schäuffelen, "Jirí Kolár: Das sprechende Bild, Poeme - Collagen - Poeme" (Bibliothek Suhrkamp, Bd 288), mit einem Nachwort von K.B.S.
Das Kritische Jahrbuch 2, Stuttgart: Verlag Wendelin Niedlich 1972 bringt S. 65-71 eine Gedichtauswahl von Josef Hiršal, Josef Honys, Jirí Kolár, Ladislav Novák und Jirí Valoch als Dokumentation der Lesung "Tschechoslowakische Avantgarde" vom 22.11.1968 (s.o.)
1981 in der Wanderausstellung des Instituts für Auslandsbeziehungen, Stuttgart, "Collage", ist neben Wolfgang Ehehalt, Heinz Hirscher, Reinhold Koehler, Franz Mon und anderen auch Jirí Kolár umfassend vertreten
6.7.-22.9.1985  zeigt die Ausstellung "Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts" (Staatsgalerie Stuttgart) auch Arbeiten Jirí Kolárs (Partitur H 3361, 1961; Partitur H 3321, 1961)
Nach Ausbürgerung und Umzug Jirí Kolár' nach Paris gelegentliche Begegnungen mit der Stuttgarter Gruppe zugerechneten Künstlern, zuletzt 1990 während Reinhard Döhls Aufenthalt in der Cité Internationale des Arts

2.7.1994 Vrh kostek. Experimentale Poesie aus Tschechien. Stuttgart: Galerie Buch Julius. (Eröffnung: Reinhard Döhl / Lesung: Bohumila Grögerová, Josef Hiršal)
1994 referieren Bohumilá Grögerova / Josef Hiršal  im Rahmen des Projekts "Wort für Wort", "Präzise Vergnügen" auf dem "Symposium Max Bense"  (9./10.9.1994) im Wilhelmspalais Stuttgart über die Wechselbeziehungen zwischen den Prager experimentellen Künstlern/Schriftstellern und der Stuttgarter Gruppe/Schule
1996 wird der Vortrag in modifizierter Form u.d.T. "Prag Stuttgart und zurück" von Johannes Auer und Reinhard Döhl in den Internet-Reader "Als Stuttgart Schule machte" aufgenommen
Ende der 90er Jahre noch einmal ein Treffen Reinhard Döhl s mit dem inzwischen nach Prag zurückgekehrten kranken Jirí Kolár
10.3.-2.6.1997 Básen, Obraz, Gesto, Zvuk. Experimentálni poezie 60. let. Prag: Strahovského Klástera

1997 Bokumila Grögerová, Josef Hiršal [Hrsg.]: "Nonsens. Parafráse, peberky, parodie, padelkyy", Prag: Mladá fronta. (Mit Beiträgen u.a. von Jirí Kolár, Josef Hiršal, Bohumila Grögerová, Ernst Jandl, Ladislav Novák, Franz Mon, Konrad Balder Schäuffelen, Reinhard Döhl)
1997 ist Jirí Kolár in der von Reinhard Döhl und Iris Caren Metzger zusammengestellten Ausstellung "Kunstraum Sprachraum" (Kunst- und Gewerbeverein Pforzheim, Katalog) und ein weiteres Mal
1999 in der von Reinhard Dohl und Wil Frenken neu konzipierten und erweiterten Ausstellung "Kunstraum Sprachraum Internet" (Kunstverein Uelzen) umfassend vertreten
1999 nehmen Johannes Auer und Reinhard Döhl Beiträge Jirí Kolárs ins Gästebuch des "Stuttgarter Poetenwinkels", des "Stuttgardien Poets' Corner'le" auf.
2001/2002 Die Archive Heißenbüttel / Döhl (mit ihren Kolár-Materialien) wechseln ins Archiv der Akademie der Künster nach Berlin
2002 August/September wird anläßlich seines Todes von Stuttgart aus eine Internet-Trauerseite für Jirì Kolár aufgebaut

Jirí Kolár. In: Katalog Jirí Kolár. Essen: Galerie Thelen 1966
- Nachdruck in: Katalog Jirí Kolár. Collagen und Objekte aus Berlin und Paris. Folkwang-Museum Essen 1981
Klappentext Nr. 19 für Jiríj [sic] Kolár. Dat. 2.2.1973. Unveröffentlicht. [Möglicherweise handelt es sich um das Gelegenheitsgedicht Nr. 26, s.u.]
Gelegenheitsgedicht Nr. 26 / eine Geschichte von Peter für alle Fälle und verschiedene Gelegenheiten 1971/72 für Jiríj [sic] Kolár. In Gelegenheitsgedichte und Klappentexte. Darmstadt, Neuwied: Luchterhand 1973 (Sammlung Luchterhand 99)
Kunst mit Buch und Buchstaben. Ein Querschnitt. Katalog. Schwäbisch Hall: Galerie am Markt (Edition Stadtarchiv Schwäbisch Hall) 1980/81. Eröffnung der Ausstellung "Maler Dichter Dichter Maler", Hof 1969
... im einzelnen stellt jede der drei gezeigten gruppen einen charakteristischen gesichtspunkt heraus. jirí kolár z.b. ist von haus aus autor und hatte bereits mehrere gedichtbände veröffentlicht, bevor er auf die ausdrucksmöglichkeit der collage stieß und sich ihrer als eines ihm gemäßen mittels bediente. es ist für ihn als autor bezeichnend, daß er für eine gruppe seiner arbeiten den titel "augenscheinliche poesie" wählte. und es scheint mir ebenso bezeichnend, daß es vor der großen kolár-ausstellung in nürnberg, die ihn schlagartig international bekannt machte, zunächst autoren waren, die sich für seine collagen interessierten und immer wieder einsetzten, in der tschechoslovakei z.b. bohumila grögerová und josef hiršal, in frankreich z.b. henri chopin und in deutschland z.b. helmut heissenbüttel, max bense und ich...
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Eröffnung der Ausstellung "Kunstraum Sprachraum", Pforzheim 1997 / Uelzen 1999
... Eine solche Kunst, erhaben und banal, unerklärlich, undefinierbar und zwecklos, läßt aber für den, der sie herstellen will, für den Künstler die Beschränkung auf nur eine Kunstart nicht mehr zu.
Die Beschäftigung, fährt Schwitters denn auch fort, mit verschiedenen Kunstarten war mir ein künstlerisches Bedürfnis. Der Grund dafür war nicht etwa Trieb nach Erweiterung des Gebietes meiner Tätigkeit, sondern das Streben, nicht Spezialist einer Kunstart, sondern Künstler zu sein. Mein Ziel ist das Merzgesamtkunstwerk, das alle Kunstarten zusammenfaßt zur künstlerischen Einheit. Zunächst habe ich einzelne Kunstarten miteinander vermählt. Ich habe Gedichte aus Worten und Sätzen so zusammengeklebt, daß die Anordnung rhythmisch eine Zeichnung ergibt.
Ich habe umgekehrt Bilder und Zeichnungen geklebt, auf denen Sätze gelesen werden sollen. Ich habe Bilder so genagelt, daß neben der malerischen Bildwirkung eine plastische Reliefwirkung entsteht. Dies geschah, um die Grenzen der Kunstarten zu verwischen.
Damit hatte Schwitters entschieden die Weichen gestellt für Künstler, die nach dem 2. Weltkrieg erneut versuchten, Dichtung und bildende Kunst zu verbinden. Das gilt im Rahmen der heutigen Ausstellung z.B. für den 1914 geborenen, seit den 70er Jahren in Paris lebenden Tschechen Jirí Kolár, der Ende der 50er Jahre als bereits renommierter Dichter plötzlich das Medium wechselte und heute fast nurmehr als Collagist bekannt ist. Er muß wie andere Künstler der Ausstellung "Kunstraum / Sprachraum", wie aber schon Schwitters, Hans Arp, Wassily Kandinsky, Arnold Schönberg und weitere Maler, Musiker und Dichter zu Beginn des Jahrhunderts, den Doppelbegabungen und damit einer Tradition zugerechnet werden, die sich seit Ende des 18. Jahrhunderts herschreibt...
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Vortrag "Der Kreis um Max Bense", Karlsruhe 2002
Solchen Mischformen bis Grenzverwischungen der Kunstarten Text und Musik (u.a. beim Hörspiel), der Kunstarten Text und Bild galt ein grundsätzliches Interesse, wobei ich hier als Beispiel ausschließlich die Collage benenne, die uns einmal kunstgeschichtlich (Braque, Picasso, Schwitters) aber auch praktisch als mögliche Mischform von Literatur und bildender Kunst interessierte. Denn natürlich war uns nicht entgangen, daß Jirí Kolár, ursprünglich Autor, erfolgreich den Versuch unternommen hatte, die Literatur im Medium der Collage fortzuschreiben. Die Begegnungen mit Jirí Kolár in Stuttgart und Hof, Ausstellungseröffnungen von Décollagen, Contrecollagen und Décollages imprimés Reinhold Köhlers in Stuttgart und anderswo durch Bense, Heißenbüttel und Döhl, aber auch die originärere Collagenproduktion Mons, Döhls und Heißenbüttels, die nur seinen engeren Freunden bekannt war, bilden hier zusammen mit den reinen Textcollagen Benses, Harigs, Heißenbüttels, Döhls u.a. einen eigenen Komplex innerhalb der Hervorbringungen der Stuttgarter Gruppe, wie sich allgemein für manche Künstler der Kreises um Max Bense die Frage der Doppelbegabung stellen läßt. Daß eine an mehreren Orten gezeigte Ausstellung "Kunstraum / Sprachraum" mit Arbeiten u.a. von Ilse und Pierre Garnier, Jirí Kolár, dem Japaner Kei Suzuki und Döhl Max Bense gewidmet war, ist wohl kein Zufall.

Etc etc