Reinhard Döhl | Kunst,

wird heute gerne kolportiert, komme nicht von Können. Die Entdeckung eines Putzlappens gilt als Entwicklung eines eigenen Stils, die Deklaration bereits als die Sache. Der Kunstmarkt ist voll von derartigen Mißverständnissen. Die ihn beherrschenden Galeristen spielen sich, den unsachverständigen Sammlern und nicht mehr sachverständigen Museen z.B. die neuen Wilden zu, während die alten immer noch darauf warten, verstanden zu werden. Die deutsche Kunst z.B. des 20. Jahrhunderts, so ist es ausgemacht, ist eine Sache des Expressionismus und darin ebenso deutsch wie Sauerkraut und Gemütlichkeit. Nicht mehr die ästhetische Auseinandersetzung mit der Welt zählt, sondern der Spektakel auf dem Spektakel, nicht mehr eine Kunst als Gegenstand zum geistigen Gebrauch (Max Bill) ist gefragt, sondern ihr Erlebnis- und Freizeitwert. Damit befreit sich die Kunst endlich auch von sich selbst, bleibt ihr von ihrer vielbeschworenen, selten gewährten, oft entzogenen Freiheit nurmehr die Unverbindlichkeit eines Gesellschaftsspiels, dessen Regeln im Karussell von gesteuerten Angebot und manipulierter Nachfrage schließlich ebenso austauschbar werden wie historische Stilelemente in der Architektur einer sogenannten Postmoderne.

Kunst, sagt es dagegen eine Redensart, komme von können. Wobei die Redensart, beim Wort genommen, offen läßt, ob dies bedeutungsgeschichtlich gemeint ist, oder als Hinweis auf das Können als Voraussetzung jeder Kunst. Der meist ironische Gebrauch dieser Redensart dort, wo jemandes (künstlerische) Fähigkeiten nicht ausreichen, unterstreicht die Bedeutung des Könnens als Voraussetzung der Kunst wie jedes produktiven Tuns. Und weil dies für den bildenden Künstler ebenso gilt, wie für den Handwerker, weil Handwerk zwar nicht immer Kunst, Kunst aber immer auch Handwerk ist, hat die mit dem Siebdruck-Atelier verbundene Galerie Geiger ihr elftes Geschäftsjahr unter das Motto "Kunst Handwerk Kunst" gestellt, möchte sie mit diesem Motto annoncieren, daß sie in der aktuellen Diskussion die Position der Kunst als eines Handwerks und des Könnens als seiner und ihrer Voraussetzung vertritt.

Wenn eine Galerie Farbe bekennt, geschieht dies in der Regel in Form einer Ausstellung. Das ist auch hier der Fall. Zweiundzwanzig von der Galerie Geiger seit ihrer Begründung zum Teil mehrfach ausgestellte Künstler zeigen von Juni bis September neuere und ältere Arbeiten und vermitteln derart einen Querschnitt des Galerieprogramms. Ihre Visitenkarte abgeben möchten die Galerie und das Siebdruck-Atelier aber auch in Form des vorliegenden Buches, das einmal den Freunden der Galerie, den treuen Sammlern über viele Jahre die Möglichkeit bieten soll, sich zu erinnern, nachzuschlagen und nachzulesen, was ihnen in den Räumen der Galerie an Bild und Kommentar angeboten wurde. Gleichzeitig stellt das Buch für Interessierte und künftige Freunde einen Galeriespiegel dar: Werbung also und Dokumentation in eigener Sache zugleich - ein Unternehmen, dessen Gelingen nur dadurch möglich wurde, daß die daran Beteiligten unter großem Zeitaufwand und unentgeltlich das umfangreiche Material zusammentrugen, sichteten und zu einem Ganzen ordneten.

Das Engagement für Handwerk und Können als Voraussetzung jeder Kunst ist keine Schreibtischentscheidung gewesen, sondern in der Person des Galeristen begründet und aus der Geschichte der Galerie erklärbar, an deren Anfang ein Siebdruckunternehmen stand, das sich schnell zu einem Siebdruck-Atelier mauserte und zur Galerie erweiterte, der sich eine Rahmenwerkstatt anschloß, um den ausgestellten und vertretenen Künstlern auch den jeweils passenden Rahmen bieten zu können.

Als Günther C Kirchberger in einem ersten Katalog der Galerie, 1975, einleitend schrieb, Als ich mit Roland Geiger zum ersten Mal zusammenarbeitete, wußte ich, daß ich "meinen" Drucker gefunden hatte, hielt er etwas fest, das bis heute für ihn und manchen Künstlerkollegen an Gültigkeit nicht verloren hat. Anders formuliert: die bisher elfjährige Galeriearbeit hat nachdrücklich die Tragfähigkeit der Idee der Einheit zwischen Handwerker, Galerist und den Künstlern erwiesen.

Nun ist eine Verbindung von ideeller Kunst und realem Handwerk noch keine Garantie für ein qualifiziertes, vielgesichtiges und vielschichtiges Galerieprogramm, das ja erst einmal entwickelt sein muß, will man nicht als Galerist einfach dort einsteigen, wo Kunst gerade aktuell ist. Das aber wollte Roland Geiger nicht, und er hatte dabei das Glück des Tüchtigen auf seiner Seite. Bei der Entwicklung des Galerieprogramms, bei seiner, wenn man so will, verkürzten Lehrzeit stand ihm nämlich ein wenn auch nicht großer, so doch äußerst solider Künstler Pate: Richard Neuz. In der sehr intensiven gemeinsamen Arbeit im Siebdruck-Atelier, beim Umsetzen und Weiterentwickeln Neuzscher Bilder zur Serigrafie kam handwerklich eine Vielzahl jener Tendenzen ins Spiel, die die Kunstrevolution zu Beginn des Jahrhunderts vorgegeben und die Richard Neuz in seiner Malerei aufgenommen hatte. Diese Tendenzen vor allem zur Farbe, zur Abstraktion, zur Eigengesetzlichkeit ästhetischer Vorgänge begegneten Roland Geiger in noch eindrucksvollerer Weise, als bald auch der mit Neuz befreundete Max Ackermann die Entwicklung seiner Serigrafien dem Geigerschen Siebdruck-Atelier anvertraute. Daß eine späte, ja die letzte Einzelausstellung von Max Ackermann und Richard Neuz den Anfang der Galeriegeschichte markieren, hat hier durchaus programmatischen Wert.

Die in diesem Buch versammelten "Fußnoten" und Eröffnungen entfalten ausführlicher, in welchem Umfang und auf welche Weise die theoretischen Vorgaben Wassily Kandinskys, Hölzels und seines Kreises, des Bauhauses über Richard Neuz und Max Ackermann direkt, über Atila und Günther C Kirchberger (der noch Lithografien für Willi Baumeister druckte) indirekt das sich entwickelnde Galerieprogramm mit bestimmt haben. Hinzu kamen, so im Falle Philippe Morissons, Einflüsse van Goghs, Cezannes, eines Briefwechsels mit dem Fauvisten und alten Wilden Maurice Vlaminck. Im Falle Robert Steigers war es ein Besuch der Ateliers von Hans Arp, Corstantin Brancusi, Julio Gonzales, Nicholas Schöffer; Georges Vantangerloo und Ossip Zadkine, der folgenreich wurde. Aber auch die radikalen Entscheidungen von Dadaismus und Surrealismus sind als Spurenelemente im Galerieprogramm aufzuspüren, etwa das Prinzip Collage bei Johannes Schreiter. Und schließlich sind dies noch die Traditionen einer Art concret, die dialektisch aufeinander beziehbaren Richtungen des Tachismus und der Hard edge, wie sie etwa von der Pariser Galerie Denise René vertreten wurde, zu deren Künstlern Philippe Morisson zählte, einer in den 60/70er Jahren dominierenden Tendenz, der auch Gunther C. Kirchberser nahestand, als er sich von seinem tachistischen Ansatz löste, den er wiederum mit Atila gemeinsam hatte (= Gruppe 11).

Zeichnet sich in diesem Geflecht der Traditionslinien die Werkentwicklung Atilas durch eine spontane, Günther C. Kirchbergers durch eine eher systematische Annäherung an den Gegenstand aus, brachten Jörg Remé, vor allem aber Ulrich Zeh in das Galerieprogramm eine von Anfang an gegenstandsbezogene Malerei ein, die im Falle Ulrich Zehs zunächst auch unter dem Einfluß Francis Bacons stand, vor allem aber Anregungen Edvard Munchs, Max Beckmanns und, in der Farbigkeit, William Turners sich anverwandelte, einer Farbigkeit, die auch auf die Werkentwicklung Günther C. Kirchbergers Einfluß gewann. Es sind also nicht nur Spurenelemente der Kunstrevolution, die sich in den Arbeiten der durch die Galerie Geiger vertretenen Künstler auffinden lassen, sondern weiterreichende Spuren der Kunstgeschichte: im Falle Ulrich Zehs z.B. in der Auseinandersetzung mit Antoine Watteau, mit Caspar David Friedrich. Jörg Remé hat sich bei seiner ersten Ausstellung ausdrücklich auf die Malerei der Renaissance berufen, an die sich zu erinnern auch bei Günther C. Kirchberger und Atila nützlich ist, der sich seinerseits und darüber hinaus auf Kompositionsfragen byzantinscher Malerei bezieht, während bei Kirchberger die kompositorische Strenge romanischer und gotischer Kunst nicht ohne Folgen blieb. Weitergehende Auseinandersetzungen mit der Kunst Tibets, des alten Ägypten kommen im Buch durch einen Brief Atilas (S.134 ff.) sowie zwei längere Kommentare zu den Ägyptenzeichnungen Günther C. Kirchbergers (S.197 ff. u. 203 ff) ausführlicher zur Sprache, aber auch, in welchem Maße die bäuerlich-handwerkliche Herkunft Robert Steigers aus dem Schwarzwald ein künstlerisches Werk mitprägen konnte (S. 251 ff.). Wobei die dem Studium vorausgehende Holzbildhauer- und Steinmetzlehre Steigers ebenso wie eine der künstlerischen Ausbildung Horst Kuhnerts vorangegangene Lehre als Schriftenmaler den Exkurs zu seinem Ausgangspunkt Kunst und Handwerk / Handwerk Kunst zurückführen.

Solides handwerkliches Können ist also das eine, das alle von der Galerie Geiger vertretenen Künstler auszeichnet, in einer zweitens lebendigen Auseinandersetzung mit aktueller Kunst, ihren Voraussetzungen in der Kunstrevolution und darüber hinaus mit oft weit zurückweisenden kunstgeschichtlichen Traditionslinien. In dieser Auseinandersetzung und jeweils sehr eigenen Anverwandlung der verschiedensten Elemente haben die Künstler der Galerie Geiger im Laufe ihrer Entwicklung drittens jeder sein sehr eigenes Werk geschaffen, jeder seinen eigenen und unverwechselbaren Stil entwickelt, zu dessen Verständnis kunstgeschichtliches Wissen zwar nicht überfüssig ist, das zu betrachten aber auch ohne dies Spaß macht, anregt oder nachdenklich stimmt, je nach Temperament des Künstlers und des Betrachters. Daß dabei fast jeder an gegenwärtiger Kunstproduktion Interessierte auf seine Kosten kommen kann, liegt nicht zuletzt an dieser Breite des Angebots, das in verkürzter Form spiegelt, was heute an ernsthafter künstlerischer Auseinandersetzung möglich ist.
Aktualität also als begründetes Programm und nicht als Proklamation, verbunden mit der jeder Kunst stets innewohnenden Tradition, nicht retrospektiv sondern als Perspektive auf der Basis der Kunst als eines Handwerks mit der Voraussetzung des Könnens - das ist nicht das schlechteste Programm, das sich eine Galerie verschreiben kann. Dabei gewinnt das Programm eine zusätzliche Lebendigkeit dadurch, daß die Künstler der Galerie praktisch drei Generationen zugehören: noch der Generation der Kunstrevolution (Ackermann, Neuz; als Grafiker auch Paul Reichle), dann der durch den Nationalsozialismus um eine kontinuierliche Entwicklung betrogenen Generation des Neuanfangs (Atila, Kirchberger, Morisson, Schreiter, Steiger) und schließiich der Generation der heute etwa Vierzigjährigen (Ernst, Görtz, Höllwarth, Kuhnert, Utsumiya, Remé, Zeh), deren Arbeiten nicht mehr durch den oft verzweifelten Versuch mitbestimmt sind, Anschluß an Errungenschaften der Kunstrevolution finden zu müssen, die sich vielmehr direkt der ästhetischen Auseinandersetzung mit einer immer fragwürdigeren Gegenwart widmen.

Resultiert aus diesem Mit- und Nebeneinander der Generationen die Lebendigkeit des Galerieprogramms, garantieren die unterschiedlichsten Sujets, Themen, Stile und Techniken seine Vielfarbigkeit. Eintönig und langweilig geht es jedenfalls im Ausstellungsprogramm nicht zu, denn das umfaßt mit Gottfried HöIlwarth, Horst Kuhnert und Robert Steiger drei Bildhauer; mit Robert Steiger zugleich einen Keramiker, mit Isolde Joham eine Glaskünstlerin, die auch Bilder malt, mit Atila, Günther C Kirchberger, Philippe Morisson, lsao Utsumiya, Jörg Remé und Ulrich Zeh Maler, mit Atila und André Ficus Aquarellisten, mit Uwe Ernst, Günther C. Kirchberger, Ulrich Zeh Zeichner, mit Ulrich Zeh einen Radierer und Heinrich Görtz einen Lithografen, mit dem Erfinder der Brandcollage, Johannes Schreiter, unter anderem einen Collagisten, deren Werke innerhalb der einzelnen.Gattungen und Techniken zugleich die Palette der Möglichkeiten andeuten. Den Polyester-Plastiken und -reliefs Horst Kuhnerts stehen die Holzskulpturen Robert Steigers, die Modelle Gottfried Höllwarths in Bronze, Serpentin und Granit gegenüber. Die Glaskünstlerin Isolde Joham gestaltet wie Johannes Schreiter Glasfenster für historische und zeitgenössische Architekten. Den Ölbildern Atilas, Jörg Remés, lsao Utsumiyas, Ulrich Zehs gesellen sich die Acrylbilder Isolde Johams, Günther C. Kirchbergers und Philippe Morissons. Den Farbstiftzeichnungen Günther C. Kirchbergers und Ulrich Zehs korrespondieren die Kreidezeichnungen Uwe Ernsts. Während Günther C, Kirchberger und Johannes Schreiter das Spannungsfeld zwischen Zeichnung und Skizze nutzen, verbindet Maria Heyer-Loos die Zeichnung mit der Technik der Collage. Ulrich Zeh unterscheidet seine einschlägigen Arbeiten als "Wasserfarbenbilder" von den eher traditionellen Aquarellen André Ficus, von denen sich andererseits die Aquarelle Atilas durch ihre zeitweilige Nachbarschaft zur Gouache unterscheiden. Auch Objekte unterschiedlichster Art und aus unterschiedlichsten Materialien haben mehrere der genannten Künstler hergestellt, so Isolde Joham in Glas, Günther C. Kirchberger in Papier, Holz, Metall und Kunststoff, doch vertritt die Galerie Geiger bisher keinen Objekt-Künstler im strengen Sinne, ausgenommen Karl Heger, dessen Natur-Objekte durch vorangehende Entwürfe und durchaus als selbständig zu denkende Zeichnungen ergänzt werden.

Hegers Ausbildung an einer Fachhochschule für Gestaltung lenkt den Blick auf die Tatsache, daß viele Künstler der Galerie auch im angewandten Bereich arbeiten, was natürlich der Grundlegung der Galeriearbeit auf das Handwerk als Voraussetzung aller Kunst entgegenkommt. Hier sind bereits die Biografien der von der Galerie Geiger vertretenen Künstler nicht uninteressant. Die dem Studium vorausgehenden Lehren Robert Steigers als Holzbildhauer und Steinmetz, Horst Kuhnerts als Schriftenmaler habe ich bereits erwähnt, Richard Neuz wurde an der Stuttgarter Kunstgewerbeschule u.a. bei Ernst Schneidler ausgebildet, Gottfried Höllwarth zunächst an der HTL für Maschinenbau in Salzburg, dann, ebenso wie Isolde Joham, an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, an der Isolde Joham seit 1963 eine Professur innehat. 1978 erhielt Gottfried Höllwarth einen Lehrauftrag für Projektrealisierung im urbanen Raum mit industrieller Gestaltung in Stein an der Hochschule für Gestaltung in Linz. Atila arbeitete nach abgeschlossener Hochschulausbildung als Architekt lange Jahre für den "Etablissement Public de l'Aménagement de la Défense". Heinrich Görtz ist seit 1974, Günther C. Kirchberger und Robert Steiger sind seit 1973 Professor(en) im Fachbereich Design an der Fachhochschule Niederrhein, der ehemaligen Werkkunstschule Krefeld. Daß der Galerist selber nach einer Lehre als Schildermaler und Drucker die Höhere Fachschule für das Malerhandwerk in Stuttgart absolvierte (vgl. S.17), schließt gleichsam den Kreis, erklärt auch, daß und warum die in dem von ihm begründeten Siebdruck-Atelier zumeist in gemeinsamer Arbeit mit den Künstlern entwickelten Serigrafien nicht technisch gute Reproduktionen von Vorlagen, vielmehr eigenständige Grafiken darstellen, trafen und treffen sich doch zu ihrer Herstellung Kunst und Handwerk auf beiden Seiten.

Ein Resultat dieses Treffens ist auch die Außenbemalung des Kornwestheimer Firmen- und Galeriegebäudes, die von Studenten Günther C. Kirchbergers in zahlreichen Entwürfen angegangen, schließlich nach einem Entwurf Jürgen Granzows realisiert wurde (vgl. S. 21). Elisabeth Rücker sieht im vielgestaltigen Werk Isolde Johams ein geradezu klassisches Beispiel dafür, daß es keine Rangordnung innerhalb der einzelnen Kunstgattungen gebe und für alles künstlerische Schaffen im sogenannten angewandten Bereich [,,,] der Anspruch auf künstlerische Gleichwertigkeit mit Malerei und Skulptur voll gerechtfertigt sei (S. 186). Bei Atila schließlich ergänzen sich architektonisches Wissen und künstlerische Intention des Malers in einer Weise, die selbst dem Laien einsichtig macht, daß Kunst auch Architektur sein kann, daß Architektur nicht ohne Kunst sein sollte (so in Corbeil-Essones, im Forum des Halles in Paris).

Johannes Schreiters Entwürfe für die Fenster der Heilig-Geist-Kirche in Heidelberg haben auf eindrucksvolle Weise bewiesen, auf welch niedrigem Niveau und wie ungetrübt von Sachverstand Diskussionen stattfinden, wenn Kunst das ihr zugewiesene Reservat von Galerie und Museum verläßt, wenn sie angewandt wird, das zu tun, was ihre Aufgabe auch ist: mit ästhetischen Mitteln zum Nachdenken anzuregen, scheinbar Selbstverständliches in überraschendem Zusammenhang nicht mehr selbstverständlich erscheinen zu lassen, Fragen zu stellen, wo alle Antworten schon bereit liegen, Anzuspannen statt zu entspannen. Ich will, pointierte Johannes Schreiter, nicht Wissen, sondern Gewissen hinterlassen, wobei schon unser Wissen für Gewissen plädieren müßte. Das ist zwar ganz im Sinne der im Mittelpunkt des Gottesdienstes stehenden christlichen Botschaft, offensichtlich aber nicht im Sinne sonntäglicher Gottesdienstbesucher, wobei es gleichgültig ist, ob diese eine Kirche aufsuchen oder an einer der zahlreichen neuerdings am Sonntagmorgen plazierten Vernissagen teilnehmen. Nicht von ungefähr hatte bereits Deutschlands meistzitierter Alibidichter Goethe bei einem Versuch, den Sinn von Gedichten zu erklären, das Kirchenfenster zum Vergleich herangezogen und festgehalten, daß, wie man verallgemeinern darf, Kunst sich nicht dem Philister auf dem Markt, also von Außen aufschließe, sondern von Innen, also dem Besucher der Kapelle, und damit demjenigen, der sich verständnisvoll auf Kunst einlasse (S. 250).

Kunstverständnis in einem solchen Sinne zu ermöglichen, Kunst aus sich selbst heraus aufzuschließen, war und ist eine der Aufgaben von Ausstellungseröffnungen, wenn dies auch meist verfehlt wird, sei es, daß die Vernissage als gesellschaftliches Ereignis, sei es, daß sie als Freizeitangebot mißverstanden wird. Die inzwischen elfjährige, auch in diesem Punkt erfolgreiche Arbeit der Galerie Geiger hat, alles in allem genommen, gezeigt, daß eine solche Aufgabe gelöst werden kann, wenn es und weil es ein kunstinteressiertes Publikum gibt, das Seh- und Verständnishilfen nicht nur dankbar annimmt sondern sie sogar fordert. Die Wege, die dabei beschritten wurden, sind so vielfältig, wie die Programme selbst.

Daß man auf die traditionellen Eröffnungsreden nicht verzichten wollte, war von Anfang an klar. Allerdings auch, daß es sich hier nicht um die üblichen Worte zum ästhetischen Sonntag, sondern um Eröffnungen handeln sollte, die ihren Namen wirklich verdienen, also um gezielte Einführungen in die jeweils ausgestellten Arbeiten, ihre Besonderheiten und ihren Stellenwert in der aktuellen Kunst. Fast von selbst erwies sich dabei als nützlich, bei den Eröffnern auf unterschiedliche Temperamente und wechselnde Positionen zu achten, um derart neben der Vielfalt der Kunst auch die Vielzahl der Möglichkeiten bewußt zu machen, sich dieser vielfältigen Kunst zu nähern, So wechseln bis heute, wie das vorliegende Buch zeigt, kunsttheoretischer Exkurs (Max Bense), kunstkritische Reflexion (Günther Wirth) und kunsthistorische Annäherung (Reinhard Döhl) miteinander ab, tauschen der Museumspraktiker (Elisabeth Rücker), der Journalist (Karl GeibeI, Winfried Roesner), der Professor der Höheren Grafischen Fachschule mit seinen praktischen und theoretischen Erfahrungen (Hans K. Schlegel) oder der Vorsitzende eines Kunstvereins (Willi Rauen) die Plätze. Aber auch die Künstler selbst kommen mehrfach zu Wort, so Günther C. Kirchberger über die Kunst und die Kunst Philippe Morissons (S. 227 ff,), Heinrich Goertz in eigener Sache (S.166ff,), Atila im Briefwechsel mit dem Herausgeber (S.128 ff. u. 134ff.). Vielleicht können gerade diese Briefe verdeutlichen, in welchem Umfang die Arbeit der Galerie von ihren Anfängen an so etwas wie ein alle Beteiligten einschließender Dialog war und ist, der natürlich Spannungen und wechselnde Konstellationen nicht ausschloß, darüber hinaus aber jene Kontinuität garantierte, ohne die manche Durststrecke nicht so leicht zu überwinden gewesen wäre. Dieser Dialog fand konkret statt, als Karl Geibel bei der Doppelausstellung Gotffried Höllwarth/Jörg Remé die beiden Künstler in ein längeres Gespräch verwickelte. Er schloß das Publikum ein in sogenannten "Dazwischengesprächen", die mehrfach im Rahmen von Ausstellungen stattfanden. Er wurde kontrovers geführt wenn sich Ausstellungseröffner kritisch aufeinander bezogen, z.B. Max Bense und ich in der Diskussion des Atilaschen und Zehschen Werkes. Neben den "Dazwischengesprächen" haben sich die "Fußnoten" auf den Einladungskarten als eine sinnvolle Vorausinformation erwiesen.

Aus ihnen, vor allem aber aus Eröffnungsreden setzt sich der Hauptteil des Buches zusammen, dessen Gliederung abschließend noch zu skizzieren bleibt. Die Einleitung "Handwerk Kunst" umfaßt außer dem Vorwort "Kunst" ein Portrait des Galeristen von Philipp FichtI: "Roland Geiger. Siebdrucker, Galerist" (S.17 ff.). Unter der Überschrift "Ausstellung" sind dann (S. 23 ff.), überwiegend in Farbe, jene Arbeiten wiedergegeben die den Kern der Ausstellung "Kunst Handwerk Kunst" bilden. Von 22 Künstlern stammend, bieten sie sowohl einen rückblickenden als auch einen aktuellen Querschritt durch die elfjährige Galeriearbeit. Die Summe der Galeriearbeit stellt sich dann im dritten Teil, dem "Künstleralphabet" dar (S.121 ff). Dieses "Alphabet" enthält jeweils ein Portrait mit Kurzbiographie, gefolgt von "Fußnoten" und/oder Eröffnungsreden zu den einzelnen Künstlern. Nicht alle "Fußnoten" und Eröffnungsreden kamen in Frage; auch hatten sich nicht alle Eröffnungsreden erhalten. Es galt also, auszuwählen, aber auch, empfindliche Lücken zu füllen. Dankenswerter Weise haben die Verfasser der "Fußnoten" und die Eröffnungsredner bei dieser Arbeit in der Regel ihre Hilfe nicht verweigert.

Das gilt insbesondere in den Fällen, wo den Reden kein ausgearbeitetes Manuskript sondern lediglich eine Stichwortliste zugrunde lag. Hans K. Schlegel hat drei seiner Eröffnungsreden (zu Max Ackermann, S. 124 ff.; Jörg Remé, S. 238 ff.; Isao Utsumiya, S. 262 ff.) aus solchen Stichwortlisten rekonstruiert, Max Bense zwei auf Band aufgezeichnete Reden zu Atila (S, 147 ff.) und Ulrich Zeh (S. 272 ff.) für den Druck überarbeitet. Die beiden Eröffnungen zu den Atila-Ausstellungen der Jahre 1978 und 1981 lassen sich dagegen nicht mehr belegen. Im "Künstleralphabet" unter Wert vertreten ist Max Geibel ausschließlich mit einer Zeitungsnotiz (S. 152), doch konnte oder mochte er zu seinen Eröffnungen der Ausstellungen Nino Dores und Gottfried Höllwarths/Jörg Remés keinerlei Unterlagen zur Verfügung stellen. An ihre Stelle ist im Falle Nino Dores ein "Hommage" getreten (S.153 f.), die als "Fußnote" zu spät kam. Im Falle Gottfried Höllwarths wurde eine Notiz, die während des 3 Künstlerfestes angesichts einiger Pannen mit dem "Stausee-Projekt" entstand, zu einer kleinen Einführung erweitert (S. 178 ff.). Dasselbe geschah mit einer fragmentarischen "Fußnote" zu den Arbeiten Karl Hegers (S.170ff.), in deren Fall die Eröffnungsrede H. P..Schlotters nicht mehr auffindbar war. Vier der ins Buch aufgenommenen Texte bedürfen darüber hinaus der Begründung, da sie außerhalb der eigentlicher Galeriearbeit entstanden. Unter ihnen ist der französische Text Max Benses zu J. C. Picard L.B. (S. 234) ursprünglich ein Katalogvorwort, dessen Übersetzung (S. 236) gleichsam als Fußnote die Grundlage der späteren Eröffnung in der Galerie Geiger bildete. Was auch umgekehrt der Fall sein konnte, wenn die Eröffnung der Morisson-Ausstellung (S. 222ff.) in französischer Fassung kurze Zeit später den Katalogtext der Pariser Ausstellung in der Galerie Renée Colin und Rosette Lipszyc bildet.

Spiegeln ein derartiger Im- und Export von Kunstkommentar die Internationalität der Galeriearbeit, setzen die Eröffnungen von Ausstellungen Atilas (Rathaus Sindelfingen, S. 137ff.), Günther C. Kirchbergers (Galerie der Stadt Stuttgart, Kunstverein Ellwangen, S. 197 ff.) und Ulrich Zehs (Theaterhaus Wangen, S. 277ff.; Rathaus Galerie Euskirchen, S. 281 ff.) den für die Galeriearbeit charakteristischen Dialog gleichsam nach Außen fort und sollen dies auch belegen.

Schließlich verzeichnet ein "Ausstellungskalender" (S. 287 ff.) alle Aktivitäten der Galerie seit ihrem Bestehen, während ein fünfter Teil in Abbildung und Beschreibung mit wenigen Ausnahmen alle seit 1966 in "Siebdruck-Atelier und Edition" (S: 295 ff.) entstandenen bzw. verlegten Serigrafien erfaßt.
Daß dies alles nicht ohne die selbstlose Hilfe vieler möglich gewesen wäre, wurde bereits gesagt, beschrieben auch, daß sich dennoch nicht alle Schwierigkeiten ausräumen ließen, gelegentlich Notlösungen notwendig wurden. Das gilt z.B. für die Abbildungen innerhalb des "Künstleralphabets". Der Gepflogenheit entsprechend, bei der Eröffnung einer Ausstellung auf einzelne Bilder, Zeichnungen, Drucke analysierend besonders einzugehen, hätten eigentlich alle hier einschlägigen Arbeiten abgebildet werden müssen Das ist, soweit sich die Arbeiten noch im Besitz der Galerie, der Künstler befanden oder von ihren Besitzern zur Verfügung gestellt wurden, dann geschehen, wenn eine oder mehrere Abbildungen den jeweils vorgesehenen Umfang des Textbeitrags nicht sprengten. Gelegentlich mußten nicht mehr erreichbare durch themenverwandte Bilder ersetzt werden (z. B. im Falle des "Appartementhauses" S. 271). Aus finanziellen Gründen nicht abgebildet werden konnten dagegen alle Werke der Kunstgeschichte, die bei Eröffnungen vergleichend herangezogen wurden, so ein Ausschnitt aus dem Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle (S. 124), Diego Velázquez "Las Meninas" (S.156) die Darstellungen des Jüngsten Gerichts durch den "Meister des Bambino Vispo" (S. 259), durch Jan van Eyck und Petrus Christus (S. 260), die Arkadia-Bilder Giovanni Francesco Guercinos und Nicolas Poussins (S. 284). Sie alle sind aber in kunstgeschichtlichen Arbeiten leicht zugänglich, so daß sich der interessierte Leser mit geringer Mühe durch Augenschein überzeugen und das jeweils Gesagte überprüfen kann.

Die Eröffnungsreden und "Fußnoten" selbst sind, von den genannten Ausnahmen abgesehen, so wiedergegeben, wie sie in den Einladungskarten gedruckt, bei den Vernissagen gehalten wurden. Stilistische und orthografische Eigenheiten bleiben also grundsätzlich gewahrt. Lediglich durch den Vortrag bedingte Wiederholungen wurden, der besseren Lesbarkeit halber, bei Durchsicht der Manuskripte für den Druck gestrichen, offensichtliche Irrtümer stillschweigend korrigiert. In einem Fall mußte aus Gründen des Umfangs die technische Beschreibung der Kreidezeichnung entfallen, die überdies zusätzliche Abbildungen erfordert hätte (S. 158). Mit diesen Einschränkungen ist das folgende Buch in Text und Abbildung ein weitgehend getreuer Spiegel der Galeriearbeit, deren dialogischer Charakter sein Zustandekommen wesentlich erleichterte. Dafür sei an dieser Stelle allen beteiligten Künstlern und Autoren, aber auch dem Publikum der Galerie als unabdingbarem Partner dieses Dialoges in Sachen Kunst ausdrücklich gedankt.

[1986]