Ein wichtiges Stichwort in den praktischen und theoretischen Auseinandersetzungen der modernen Kunst ist: Reduktion. Es bezeichnet Rückzug, Rückführung der Malerei auf Elementares, Materiales. Es meint ihr Neuverständnis aus dieser Rückbesinnung heraus. Reduktion muß - so wurde es von Helmut Heißenbüttel gefordert - Witz (esprit) entwickeln. Sie muß ästhetische Spielmöglichkeiten freistellen, im ästhetischen Spiel, für ästhetisches Spiel die Regeln neu bestimmen. Ermanno Leinardi ist - so verstanden - ein Vertreter reduzierter Malerei. Mit südländischem Temperament und Kolorit reduziert er seine Bildinhalte auf die Elemente Kreis und Ellipse, Gerade und Krümmung, bringt er den Kreis gegen die Gerade, die Ellipse gegen die gekrümmte Linie und umgekehrt, bringt de Gerade gegen die Krümmung ins wechselseitige Spiel. Spielt er in sich Geschlossenes (Kreis) gegen in sich Gespanntes (Ellipse) aus in einem Spiel zwischen Spannung und Gegenspannung, Spannung und Entspannung, formal streng oder auch flüchtig in der Notation. Doch haben seine Arbeiten über diese erste Wahrnehmungsschicht hinaus eine zweite Spielebene, die sich aufschließt, wenn man die Ellipse als das liest, was sie auch ist: als Buchstaben. Dieses 0 hatte wie das ganze Alphabet ursprünglich Bildqualität, war Teil einer Bilderschrift, was in der abstrahierenden Entwicklung der abendländischen Schrift schon früh in Vergessenheit geriet. Indem Leinardi seinen Bildern das 0 einschreibt und in das formale Wechselspiel einordnet, gewinnt er einem Buchstaben auf neue Weise Bildqualität zurück, sind seine Bilder auch Sohriftbilder. Dies alles gibt es für den aufmerksamen Beobachter auf den ausgestellten Arbeiten ebenso zu entdecken wie auf dem zur Ausstellung aufgelegten Siebdruck, der meines Wissens zum erstem Mal versucht, auf denn Wege der Siebdruck-Collage den Intentionen des Malers Leinardi auch drucktechnisch konsequent Rechnung zu tragen.
[1977]
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Galerie
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