paul valery hat die prognose gestellt, daß der physische teil der künste nicht länger so betrachtet und so behandelt werden kann wie vordem [...] man muß sich darauf gefaßt machen, daß [...] große neuerungen die gesamte technik der künste verändern, dadurch die invention selbst beeinflussen und schließlich vielleicht dazu gelangen werden, den begriff der kunst selbst zu verändern. und walter benjamin hält in dem viel zu wenig beachteten aufsatz "das kunstwerk im zeitalter seiner technischen reproduzierbarkeit" fest, daß die technische reproduktion des kunstwerks gegenüber der grundsätzlichen reproduzierbarkeit von kunstwerken etwas neues sei, das sich in der geschichte intermittierend, in weit auseinanderliegenden schüben, aber mit wachsender intensität durchgesetzt habe. eine wesentliche rolle komme dabei der fotografie zu, die die hand im prozeß bildlicher reproduktionen zum ersten mal von den wichtigsten künstlerischen obliegenheiten entlaste, welche nundem der ins objektiv blickenden auge allein zufielen. und benjamin verallgemeinert, daß die reproduktionstechnik das repruduzierte aus dem bereich der tradition ablöse: indem sie die reproduktion vervielfältigt, setzt sie an die stelle seines einmaligen vorkommens sein massenweises. und indem sie der reproduktion erlaubt, dem aufnehmenden in seiner jeweiligen situation entgegenzukommen, aktualisiert sie das reproduzierte. als wesentliche ergebnisse dieses prozesses nennt benjamin den verlust der kultwertes des bildes, den verlust des wertbegriffs der echtheit (des originalbegriffs), und den gewinn an ausstellbarkeit.
in diesen zusammenhängen ist auch die augenblickliche ausstellungspaarung von fotos und mit fotosetzgeräten gewonnenen strukturen gedacht. in beiden fällen liegt das original gleichsam außerhalb bzw. vor der technischen reproduktion: landschaften, buchstaben, gebrauchsgegenstände der zivilisation wie rasierklingen oder glühbirnen.
und gleichzeitig deutet diese gegenüberstellung auch eine vielzahl der möglichkeiten an, zeigt sie in der gegenüberstellung gemeinsamkeiten und gegensätze auf. die gezeigten landschaftsstrukturen z.b. sind auch ohne ihre technische reproduktion durch den fotografen da. es bedarf jedoch des auges, das sie sieht, des apparates der festhält, was das auge an zeigbarem erkannt hat. dagegen bedürfen die coldtypestructures, in ihrer struktur vorbestimmt durch die struktur des oder der verwendeten buchstaben, der wiederholten technischen manipulation. deutlichere gegensätze zeigen sich bei den portraits, wobei noch einmal an benjamins aufsatz erinnert sei. benjamin hat zurecht darauf aufmerksam gemacht, daß das fotografierte menschenantlitz eine letzte verschanzung des kultwertes des bildes ei. deshalb habe das portrait im mittelpunkt nicht nur der frühen fotografie gestanden: im kult der erinnerung an die fernen oder die abgestorbenen lieben hat der kultwert des bildes die letzte zuflucht. dieser kultwert scheint jedoch in den portraits orlopps bereits weit zurückgedrängt. was ihn bei seinen in der regel scharf konturierten köpfen augenscheinlich am meisten interessiert, ist stattdessen etwas äußerliches: die struktur der gesichtshaut. eher die technische reproduktion einer vorher genau studierten struktur, haben orlopps portraits nichts mehr von jenem fluidum, das die erinnerung erleichtert. ganz ohne den kultwert des bildes sind dagegen die abstrakten "portraits einer fünf" klaus burkhardts, die er 1966 methodisch für eine Publikation zusammenstellte.
man könnte für beide künstler ein dominierendes interesse an strukturen geltend machen. und man könnte dabei überspitzt unterscheiden, daß es orlopp um die technische reproduktion, um das sichtbarmachen bzw. zeigen von vorgefundenen ordnungen aber auch unordnungen geht, während die arbeiten burkhardts den gewinn von aus kleinstrukturen gewonnenen großstrukturen zeigen. oder anders ausgedrückt: ist der fotoapparat orlopps - wie helmut heißenbüttel pointiert hat - nur ein durchgang, der lediglich hilft, das zu zeigen, was gezeigt werden soll, dann sind der von burkhardt benutzte starsettograf bzw diotype geräte zur erzeugung von in den einzelnen gewählten buchstaben bereits angelegten übergeordneten strukturen.
valery hat richtig vermutet, daß großer neuerungen die gesamte technik der künste verändernund dadurch die invention selbst beeinflussen würden. Auf die frage, ob sie den begriff der kunst selbst verändert haben, könnte die augenblickliche ausstellung gerade in ihrer kombination vielleicht so etwas wie eine vorläufige antwort geben.
[Ausstellungseröffnung Studiengalerie der TH Stuttgart, Mai 1967. Zugleich Katalogtext.]