Wilhelm Hauff
Reiters Morgenlied

Morgenrot,
Leuchtest mir zum frühen Tod?
Bald wird die Trompete balsen,
Dann muß ich mein Leben lassen,
Ich und mancher Kamerad!

Kaum gedacht,
War der Lust ein End gemacht!
Gestern noch auf stolzen Rossen,
Heuite durch die Brust geschossen,
Morgen in das kühle Grab!

Ach, wie bald
Schwindet Schönheit und Gestalt!
Tust du stolz mitz deinen Wangen,
Die wie Milch und Purpur prangen?
Ach, die Rosen welken all!

Darum still
Füg ich mich, wie Gott es will.
Nun, so will ich wacker streiten,
Und sollt ich den Tod erleiden,
Stirbt ein braver Reitersmann.

[nach einem schwäbischen Volkslied]


Klage
(mündlich)

Morgenrot! Morgenrot!
Überall vom Putz bedroht.
Talfen wir so in den Gassen,
wird uns bald der Dackel* fassen,
   mich und manchen Kamerad.

Ach wie bald, ach wie bald,
schwindet auf der Walz der Draht!
Gestern noch die Schicks** am Arme,
heute schon mit dem Gendarme
   morgen in den Käfig 'nein!

Darum still, darum still,
mag es kommen, wie es will!
Mit dem Stenze*** in der Rechten
wollen wir noch weiter fechten:
   Ich und mancher Kamerad!
___________________________________
*) Gensdarm, **) wanderndes Frauenzimmer, *** Stock

"Nicht nur Couplets und irgendwelche anderen, oft gesungenen Gesangsstücke dienten als Unterlagen. Auch echte Volkslieder wurden benutzt. So das Hauffsche "Morgenrot". In der Fassung dieses Bändchens enthält es die umfassendste, knappste und launigste Darstellung der Lebens auf der Walze, die mir bekannt ist. Das elende Dasein: überall von Gesetzeswächtern beobachtet und verfolgt, überall scheel angesehen, immer neben der Lust das Leiden - und trotzdem die männliche Stärke, die wohl die Gefahren sieht und erkennt, die aber dennoch mit ganzer starker Leidenschaft an ihrem Unternehmen, an der Wanderschaft hängt". (Ostwald: Lieder aus dem Rinnstein, S. 6 f.)
 
 





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