Jean Paul an seine Frau

[Stuttgart, den 16. Juni 1819]

..Hier wird man aus den Tees gewöhnlich ohne Abendbrot heimgeschickt, das ich dann für einige Groschen im Gasthofe suchen muß. Gott! wie hungert mich nach einem Stückchen bayrischem Bäckerbrot. Das hiesige, bloß aus Dinkel gebacken und ungesalzen, schmeckt ungefähr wie getrockneter Kleister oder papier maché; und doch würgte ich es einige Abende - aus Sparsamkeit - mit einem Stückchen Wurst hinein.

Ich habe gar zuviel zu erzählen und so wenig Zeit; der Tisch liegt voll Bücher aus der Bibliothek, und von der Huber etc. Arbeiten will ich auch ein wenig. Für mein geselliges Bernehmen hab' ich mir neue Gesetze gegeben. Ich suche Ruhe, vermeide überkochende Liebe, bin nicht kühn und satirisch und tische keine Persönlichkeiten auf. Ich kenne die Nähe der Gefahr bei fremdem Beifall und bei eignem.

Gestern, als ich auf dem Silberberg (ein öffentlicher Lustberg mit Gärten, wo jeden Sonnabend Konzert ist), arbeitete, kommen drei Deputierte der Thübingischen Studenten an, um mich zur Feier des 18. dahin einzuladen mittels eines sehr schönen Schreibens; ich schlug es natürlich mit vieler Artigkeit und Wendung ab. - Bekannt und geliebt bin ich hier hinlänglich, und in jeder Gassenecke seh' ich den Rücken eines Verehrers stehen. Nur müßt' es am Ende auch dem eitelsten Narren lästig fallen, daß er an einem öffentlichen Orte (z.B. im Gartenkonzerte) nicht herumgehen kann, um etwa einige weibliche Gesichter anzusehen, oder die Gartenpartien ohne hinten und vorne und seitwärts von hundert Augen verfolgt, oder wenn er gar ins Sprechen kommt und sagt "Ihr Diener" oder "Eine Flasche Doppelbier", von den nächsten Ohren verschlungen zu werden. Gnade dann Gott dem armen Narren, wenn er vollends etwas Dummes sagt, anstatt das Allerwitzigste und Erhabenste. Einen oder ein paar Verehrer und Verehrerinnen an jedem Ort lass' ich mir gefallen; man wird aber am Ende so unverschämt und gleichgültig wie ein Prinz und tut, als sei man zu Hause, nämlich in Bayreuth.

Donnerstag... Alles Schöne liegt aber weit von Stuttgart: ach, es ist kein Heidelberg oder Frankfurt...Der Professor Reinbeck hat bei seinem Ehrenwort der Hausmannskost mich auf immer an seinen Tisch geladen... Die alte Huber, bei der ich auch zu Tee war, ist voll Geist und Herz (das letzte werd' ich dir zeigen, wenn ich mit Herder, dem Mann ihrer Tochter, von ihr spreche), konnte aber kaum in der Jugend schön gewesen sein...

Seit gestern und heute (und fast immer) genießen wir liebliches Regenwetter, und ich wäre das glücklichste Wesen von der Welt, wenn ich eine Krautpflanze wär' oder ein Gerstenfeld. Und so will ich denn meine hiesigen Wochen weiter hinduseln, und dann die Bayreuther, bis die ganze Narrheit vorbei ist.





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