Heinrich schlief bei seiner Neuvermählten,
Einer reichen Erbin von dem Rhein.
Schlagenbisse, die den Falschen quälten,
ließen ihn nicht süßen
Schlafs sich freun.
Zwölfe schlug's. Es drang durch die
Gardine
Plötzlich eine kleine weiße
Hand.
Was erblickt' er? Seine Wilhelmine,
die im Sterbekleide vor ihm stand.
Bebe nicht, sprach sie mit leiser Stimme,
Ehmals mein Geliebter, bebe nicht!
Ich erscheine nicht vor dir im Grimme,
Deiner neuen Liebe fluch ich nicht.
Warum glaubt' ich Schwache deinen Schwüren,
Baute fest auf Zärtlichkeit und Treu!
Mir nicht träumend, daß ein
Herz zu rühren -
Mehr als rühren - euch nur Spielwerk
sei.
Zwar der Kummer hat mein junges Leben,
Trauter Heinrich, mitleidsvoll verkürzt.
Aber Tugend hat mir Kraft gegeben,
Daß ich nicht zur Hölle mich
gestürzt.
Nur weil sterbend noch in meinem Herzen
Ird'sche Liebe - deine Liebe! - war,
Soll hienieden ich doch ohne Schmerzen,
Freudlos irren dreimal sieben Jahr'.
Gnade fand sie. Doch ihr Ungetreuer
War verloren ohne Wiederkehr.
Als ein Scheusal, als ein Ungeheuer
Wallt sein Fuß zur Mitternacht umher.
Edle, weichgeschaffne schöne Kinder,
Wenn sie noch in holder Unschuld blühn,
Sehen feurig den verruchten Sünder
Rufen: Heil'ge Mutter, hilf! und fliehn.
[Der Text popularisiert Johann Friedrich August Kazners Gedicht "Heinrich und Wilhelmine" aus dem Jahre 1779, Erstdruck in die Schreibtafel, 6. Lieferung, herausgegeben von Friedrich (Maler) Müller (Mannheim: C.F.Schwan). Dort fordert die Betrogene Heinrich auf, für ihr Seelenheil zu opfern, endet der Text in der Manier einer Schauerballade:]
Gute Werke, heil'ger Männer Bitte
Können mindern diesen schweren Bann.
Doch du weißt es, daß in jener
Hütte
Meine Mutter wenig opfern kann.
Schätze hast du, Heinrich. Ach, bediene
Ihrer dich zu meiner Seele Rast;
Schaffe Ruhe deiner Wilhelmine,
Die du lebend ihr entzogen hast!
Opfer! sagst du? Ja, das Opfer blute!
Brüllte Heinrich noch in dieser Nacht,
Sprang vom Lager, und in der Minute
Ward, o Graus, der Selbstmord auch vollbracht.
[In Pommern gab es seit 1841 eine Fassung ohne Selbstmord. Hier zitiert nach: "Fünf neue schöne Arien und Lieder". Delitsch, zu finden in dasiger Buchdruckerei, o.J., [H.] 21]
Opfer, Fürbitt', gute Werke
Haben oft gelindert diese schwere Pein,
Und du kannst mit diesen deinen Gaben
Meiner Marter selbst entbehrlich sein.
Dort, ja dort in jenem neuen Leben,
Wo der kühnste Frevler selbst erbebt,
Da mußt du einst Rechenschaft auch
geben,
Wie du hier auf Erden hast gelebt.
Wirst du deine Laster hier bereuen,
Wirst du vor dem Richter einst bestehn;
So werd' ich mich innig drüber freuen,
In der Zahl der Sel'gen dich zu sehn.
Opfer will ich leisten, wohlthun Armen,
Zu der Vorsicht beten, tief gerührt,
Daß mir Gnade werd' von dem Erbarmer,
Daß dein Seufzen auch noch wird
erhört!
Jetzt beruhigt, seufzt' sie, ach! und schwinget,
Wie ein Blitzstrahl, schnell sich Hmmel
an.
Heinrich hielte redlich Wort. Man findet
Ihm beglückt und froh als biedern
Mann.
[Kazner hatte vorgeschlagen, sein Gedicht nach einer Komposition auf "Lotte bey Werthers Grabe" (Johann Freiherr von Reitzenstein, 1775) vorzutragen. Die Melodie, nach der der im "Volksmund" immer wieder veränderte Romanzentext schließlich gesungen wurde, teilt R.A.Stemmle in "Ja, ja, ja, ach ja, 's ist traurig aber wahr!" (Berlin-Schöneberg: Weiß o.J., S. 53) mit. Eine Variante läßt Bertolt Brecht die Dienstmädchen Kati und Anna in "Schweyk im zweiten Weltkrieg", 4. Bild, singen. Als verwandte Moritat verbreitet war "Babettes Geist um Mitternacht vor Wilhelms Brautbett"].