Mit dieser Arbeit sollen zwei Thesen untersucht werden. Die eine behauptet, der Blick auf die Photographie habe sich beginnend in den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts grundlegend geändert, die andere, der von Walter Benjamin in den dreißiger Jahren entwickelte Begriff der Photographie sei von maßgebendem Einfluß auf diesen Blickwechsel gewesen.
Um der gestellten Aufgabe gerecht zu werden, muß zunächst der Benjaminsche Photographiebegriff herausgearbeitet werden. Benjamin hat sich in zwei Texten explizit mit Photographie beschäftigt, in der "Kleinen Geschichte der Photographie" und (zusammen mit dem Film) in "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit". Dazu kommen drei kleinere Texte, nämlich, in der Reihenfolge ihres Entstehens, das 1. Exposé zum Passagen-Werk, in dem es in einem seiner sechs Abschnitte auch um die Photographie geht, der "2. Pariser Brief", dessen Untertitel "Malerei und Photographie" heißt, und die Rezension der Freundschen Dissertation, jener Schrift, die nachmals unter dem Titel "Photographie und bürgerliche Gesellschaft" bekannt wurde. Diese fünf Aufsätze werden einer Analyse unterzogen, die so nah wie möglich am Text bleibt. Ihr Ergebnis wird u.a. sein, daß der Begriff der Aura aus der Beschäftigung mit Photographie heraus entstanden ist und nicht etwa, wie z.B. Fuld noch annimmt, aus Benjamins Affinität zu Esoterik und Okkultismus.
Herausgeschält werden aber auch die zwei Funktionen, die Benjamin der Photographie zuweist, nämlich die eines originären, selbständigen Mediums auf der einen und die eines unselbständigen, dienenden Reproduktionsmittels auf der anderen Seite. Benjamin selbst hatte Schwierigkeiten, diese Unterscheidung bruchlos durchzuhalten, seinen Apologeten und Interpreten ging es nicht besser. So wichtig die Photographie als das wohl bedeutendste reproduzierende Verfahren für Kunstwissenschaft, Geschichtsphilosophie usw. auch sein mag, in dieser Arbeit geht es zuallererst um die Rolle, die die Photographie seit ihrer Erfindung als produktives Medium gespielt hat. Benjamins bahnbrechende Überlegungen z.B. zu der Beobachtung, daß durch die besonderen reproduzierenden Eigenschaften der Photographie die Aura von Kunstwerken schwinde, wird daher von mir weitgehend ausgeblendet. Es ist auch nicht diese Seite der Photographie, die Benjamin meint, wenn er von der Geschichte der Photographie spricht, von der Wechselwirkung zwischen Photographie und Malerei, von Photocollage und Photogramm, oder wenn er die Frage behandelt, ob Photographie Kunst sein könne oder nicht. Immer dann ist es die andere, die autarke Seite, die ins Spiel kommt. Sie ist maßgebend für den von mir gemeinten Begriff der Photographie.
Eine ähnlich konsequente textkritische Analyse, wie ich sie versucht habe, habe ich in der bisherigen Literatur zu Benjamin nicht finden können. Lediglich das 1994 erschienene Buch von Mary Price "The photograph, a strange confined space", das mir erst nach Abfassung dieser Arbeit zu Gesicht kam, enthält ein mit "Walter Benjamin" überschriebenes Kapitel, in dem ähnlich vorgegangen wird. Allerdings werden nur die "Kleine Geschichte der Photographie" und der "Kunstwerk"-Aufsatz untersucht und ausgewertet. Auch Price stellt fest, daß Benjamins Aura-Begriff aus der genauen Betrachtung und Beschreibung von photographischen Bildnissen hervorgeht. Sie erkennt die Doppelbedeutung des Begriffs Photographie bei Benjamin und dessen unterschiedliche und uneinheitliche Verwendung bei ihm, besonders wenn sie sich mit dem Begriff der Reproduktion beschäftigt, zieht daraus aber keine Schlüsse. Ihr geht es nicht um die Entwicklung eines Photographiebegriffes, sie ist vielmehr, wie die meisten Autoren, fasziniert von und fixiert auf den Aura-Begriff, dem sie zum x-ten Mal neue Facetten abgewinnen will.
Die für einen Teil der Phototheorie wichtigen Fragen, ob Benjamin sich überhaupt und wenn ja, mit welchem Ergebnis, zum möglichen Kunstwert der Photographie geäußert habe, werde ich, im Gegensatz zu der mir bekanntgewordenen Literatur, die sich in dieser Hinsicht im wesentlichen nur auf die Kleine Geschichte und den Kunstwerk-Aufsatz stützt, positiv beantworten können.
Im zweiten Teil der Arbeit wird die These vom Blickwechsel auf die Photographie dargestellt. Der Begriff der photographischen Gemeinschaft, die sich aus allen mit der Photographie Befaßten zusammensetzt, wird eingeführt. Seit der Erfindung der Photographie hatte diese sich gewissermaßen selbst fest im Blick gehabt und, wenn sie ihre Blicke aufschlug, diese aus dem Medium heraus, seine Grenzen fixierend, nach außen gerichtet. In den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts änderte sich diese Blickrichtung. Die Umwelt entdeckte das Medium, der Blick fiel jetzt von außen auf die Photographie.
Es waren zunächst die Sammler, selbst Angehörige der photographischen Gemeinschaft, und in ihrem Gefolge die Photo-Auktionen und Photo-Galerien, die diesen Blickwechsel einleiteten. Indem sie ihren Blick auf die Vergangenheit hefteten, ließen sie die Bedeutung der Photographie in einem größeren kulturellen Zusammenhang aufscheinen. Das Interesse an den technischen Zeugnissen des Mediums wandte sich dabei von diesen ab und dessen visuellen Hervorbringungen, dem photographischen Bild, zu. Ich werde zeigen, daß es gerade dieser Wechsel des Interesses der Sammler war, der eine neue Sicht auf die Photographie eröffnete.
Die ersten, die sich außerhalb der photographischen Gemeinschaft mit der Photographie befaßten, waren die Künstler. Sie entdeckten die Photographie nach einem ersten Anlauf in den zwanziger in den sechziger Jahren zum zweiten Mal als neue, unverbrauchte, den klassischen Medien ebenbürtige Möglichkeit, Kunst herzustellen. In drei Anläufen, nämlich in der Pop Art, in Happening und Fluxus und in der Concept Art wurde die Photographie in die Kunst hereingenommen. Diese Entwicklung wurde in programmatischen Ausstellungen Anfang der siebziger Jahre einer interessierten Öffentlichkeit vorgestellt.
Ich werde versuchen, die Wirkung dieser Vorgänge auf die photographische Gemeinschaft aufzuzeigen. Die Bedeutung der Rolle, die die Photographie in den beiden Avantgardebewegungen, sowohl in der historischen in den zwanziger, als auch in der der sechziger Jahre, spielte, wird herauszuarbeiten sein und damit die Folgerichtigkeit, mit der die Photographie über ihre neue Funktion in der Kunst in der Untersuchungszeit auf den postulierten Blickwechsel einwirkte.
Eine weitere Gruppe, die ihre Blicke von außen auf die Photographie richtete, war die der Wissenschaftler. Ich werde mich auf Thomas S. Kuhn und auf seine "Struktur wissenschaftlicher Revolutionen beziehen und die These aufstellen und zu belegen versuchen, daß die Photographie in den sechziger Jahren zum ersten Mal zu einem Paradigma und damit aus ihrem vorwissenschaftlichen Zustand herausfand. Alle von Kuhn aufgestellten Kriterien für die Herausbildung eines Paradigmas treffen für die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Photographie in diesem Zeitraum zu. Zu den wichtigsten gehört die Forderung Kuhns, daß eine bestimmte Aufmerksamkeit von außen an das Fachgebiet herangetragen werden muß. Diese wird durch meine Kategorie des Blickwechsels erfüllt. Eine weitere Forderung besagt, daß ein geschichtlicher Zufall im Spiel sein müsse. Die Ereignisse des Jahres 1968 verifizieren diesen. Die Tatsache der Bevorzugung des photographischen Bildes vor dem photographischen Apparat entspricht dem Kriterium des Triumphes einer der Schulen aus der Vor-Paradigma-Zeit. Schließlich wird die Forderung, daß eine andere Wissenschaft Träger des Interesses sein soll, durch die Beobachtung eingelöst, daß sich zunächst die Kunstgeschichte der Photographie annimmt.
Das Paradigma, das sich herausbildete, beruhte auf der Übereinkunft, die Photographie als ein allgemeines kulturelles Phänomen von signifikanter gesellschaflicher Bedeutung zu sehen und das photographische Bild als dessen Zeugnis zu betrachten. Die Forschung sollte sich infolgedessen mit der Theorie und Geschichte dieses Phänomens befassen. Die Kunstgeschichte beschäftigte sich, gemäß ihres Auftrags, mit der ästhetischen Seite des photographischen Bildes. Spätestens Anfang der achtziger Jahre war ihre Vorherrschaft gebrochen. Andere Disziplinen richteten ihren Blick auf die Photographie.
Meine Vorstellung vom Blickwechsel findet sich, auch ansatzweise, so in der Literatur nicht. Zwar wird immer wieder auf den Umstand hingewiesen, daß sich die Sicht auf die Photographie zu dem von mir bezeichneten Zeitpunkt dramatisch verändert habe, der Frage, warum dies so ist, und warum der Blickwechsel ausgerechnet in den sechziger Jahren und nicht etwa früher oder später stattgefunden hat, wird jedoch nirgendwo nachgegangen.
Bleibt, in einem dritten Teil, den von mir behaupteten Einfluß Benjamins auf die sich verändernde Sicht auf die Photographie nachzuweisen. Dazu sind zunächst die besonderen Rezeptionsbedingungen der im ersten Teil untersuchten Benjaminschen Texte aufzudecken, die, in den dreißiger Jahren entstanden und damals nur zum Teil veröffentlicht, dank einer unglücklichen Editionspolitik nach dem zweiten Weltkrieg erst ab Anfang der sechziger Jahre einer Rezeption zugänglich wurden. Eine Genealogie der in Frage kommenden Texte wird dies deutlich machen (Anhang I).
Bei der Rezeption der Benjaminschen Gedanken über Photographie muß dann weiter in zwei große Gruppen unterschieden werden. Die erste betrifft solche Texte, die sich direkt mit dem Benjaminschen Begriff der Photographie, die zweite solche, die sich, zunächst vom Titel her nicht erkennbar, indirekt mit ihm auseinandersetzen. Die Texte der ersten Gruppe werden in einer Chronologie zusammengestellt (Anhang II). Da deren frühester Text zwar bereits 1964 erscheint, die darauffolgenden jedoch erst vierzehn Jahre später, nämlich im Jahr 1978, liegt der Schluß nahe, daß die Wirkung der Benjaminschen Gedanken nicht von ihnen, sondern von den Texten der zweiten Gruppe ausgegangen sein muß, die indirekt von den Gedanken Benjamins beeinflußt sind. Der Nachweis für diese These wird durch Textvergleiche geführt werden.
Bevor dies geschieht, werden jedoch ganz allgemein die Gründe für die besondere Wirkung Benjamins untersucht. Die Reaktion der photographischen Gemeinschaft auf ihn war negativ. Deren Blick war nach innen gerichtet und jede Intervention von außen wurde als Störung empfunden. Sie versuchte, dem wachsenden Einfluß Benjamins zu begegnen, indem sie ihm mangelhafte Kenntnis der Materie vorwarf und Fehler in seinen Schriften nachwies. Können die Gedanken Benjamins für die Gemeinschaft als eine Bedrohung und als unqualifizierte Infragestellung des Gewohnten betrachtet werden, so muß deren Wirkung auf die außerhalb der Gemeinschaft Stehenden, und hier insbesondere auf die Wissenschaftler, sehr viel subtiler gesehen werden. Dieser Wirkung wird anhand eines Aufsatzes von Detlev Schöttker mit dem Titel "Walter Benjamin und seine Rezeption" nachgegangen, indem der Versuch unternommen wird, die dort allgemein gewonnenen Erkenntnisse auf die photographische Situation zu übertragen.
Schöttker sieht vier Aspekte, die die besondere Wirkung Benjamins erhellen. Der erste ist der Fragmentcharakter von Benjamins Arbeiten. Die von Schöttker aufgeführten Argumente hierfür werden von mir durch ein weiteres wichtiges ergänzt, das den eigenartigen Reiz der Benjaminschen Schreibweise zu erklären unternimmt. Ich meine die aphoristische Denk- und Schreibtechnik, die, verbunden mit einer Strategie der Distanz auf Seiten des Autors, breiten Raum läßt für eigene Interpretationen des Lesers und diesen ermuntert, die Texte zu erklären und fortzuschreiben. Die Praxis auf dem photographischen Gebiet zeigt, daß sich neben diesen beiden Rezeptionsweisen der Erklärung und der Fortschreibung jedoch in großem Maß eine Strategie des Steinbruchs erkennen läßt: Die Griffigkeit der Benjaminschen Formulierungen läßt die Rezipienten immer wieder in Versuchung geraten, diese aus ihrem Zusammenhang zu lösen und für Eigenes zu verwenden. Dies werde ich an einigen besonders stark benjaminierten Texten herausstellen.
Als zweiten wichtigen Aspekt für die besondere Wirkung Benjamins bezeichnet Schöttker dessen Außenseitertum und politische Ästhetik. Die marxistisch-materialis-tischen Positionen Benjamins spielten eine wichtige Rolle bei der im Umfeld der Studentenbewegung entwickelten Vorstellung von der Photographie als Waffe. Die Photographie wurde zur Waffe im Klassenkampf erklärt, wobei interessant ist, daß die marxistischen Phototheoretiker in der ehemaligen DDR mit Benjamin wenig anfangen konnten. Neben den politischen Benjamin stellt Schöttker auch die Kultfigur, wenn es ihm darum geht, Benjamins Außenseiterstatus darzustellen. Wahrscheinlich ist es ein compositum mixtum der verschiedenen Facetten von Persönlichkeit, Leben und Werk Benjamins, das in einzelnen Fällen zu einer Art Hörigkeit, zu einer wahren Benjamin-Manie geführt hat. Ich werde dies am Beispiel eines Buches von Volker Kahmen mit dem Titel "Fotografie als Kunst" illustrieren.
Der dritte Aspekt weist auf Benjamins besondere Art der Geschichtsaneignung hin. Es ist, erstens, insbesondere Benjamins Fortschrittsbegriff, der vom Prinzip der zeitlichen Kontinuität abgelöst gesehen werden muß, auf den Schöttker aufmerksam macht. Die Vergangenheit wird, zweitens, von den Erkenntnissen der Gegenwart her gesehen. Die Aktualisierung geschieht durch Erinnerung. Schließlich weist Schöttker, drittens, auf das Prinzip der Montage hin, mit dessen Hilfe Benjamin seinen Geschichtsbegriff anschaulich werden läßt. Der letzte Aspekt Schöttkers befaßt sich mit der disziplinübergreifenden Thematik von Benjamins Arbeiten, die ihre besondere Ausprägung in dessen Theorie der Wahrnehmung gefunden hat.
Mit Hilfe der Textvergleiche versuche ich, die von Schöttker allgemein gefundenen Aspekte und Merkmale in photographischen Texten aufzuspüren und zwar in solchen der zweiten Art, das heißt in Texten, die nicht von vornherein erkennen lassen, daß sie von Benjamin beeinflußt sind, die seinen Namen nicht im Titel, sondern bestenfalls im Anmerkungsapparat führen. Der Nachweis eines derartigen Einflusses ist deswegen schwierig, weil sich zwar dem mit der Materie Vertrauten in unzähligen Texten über Photographie Benjamins Handschrift offenbart, dieses Wissen aber, nicht zuletzt wegen der Menge der Texte, die untersucht werden müßten und der versteckten Hinweise in ihnen, schlecht darstellbar wäre. So bleibt nur übrig, den Nachweis an einigen wichtigen ausgewählten Texten gewissermaßen exemplarisch zu versuchen.
Ein derartiger Text wird zunächst den Benjaminschen und dann, wo möglich, entsprechenden 'klassischen' photographischen Texten gegenübergestellt. Für die Geschichte der Photographie habe ich Thomas Neumanns "Sozialgeschichte der Photographie" aus dem Jahr 1966 ausgewählt. Sie wird konfrontiert mit den Geschichtsdarstellungen von Helmut Gernsheim, Beaumont Newhall, Peter Pollack und Erich Stenger. Als Hauptbeispiel für die Theorie der Photographie wird das erstmals 1980 erschienene Buch "Die helle Kammer" von Roland Barthes auf Affinitäten zu Benjamins Photographiebegriff untersucht. Die beiden Analysen zeigen schlüssig, daß Benjamins Texte, mit denen er seinen Photographiebegriff formulierte, ihre unübersehbare Wirkung erst Jahrzehnte nach ihrer Entstehung entfaltet haben. Damit gilt auch für die Photographie, was für viele andere Phänomene gilt, mit denen Benjamin sich beschäftigt hat. Die Photographie ist insofern nur ein Sonderfall der allgemeinen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des Benjaminschen Werks.
Am Ende jedes der drei Teile dieser Arbeit findet sich ein mit "Summe" überschriebenes Kapitel. In den dort versammelten, als eine Art Hommage an Walter Benjamin nach aphoristischer Schreibweise verfaßten Gedanken ist weniger eine Zusammenfassung des jeweils Vorangegangenen, sondern der Versuch zu sehen, das Geschriebene paraphrasierend noch einmal zu überprüfen und weiterzudenken.
Rolf H. Krauss: Walter
Benjamin und der neue Blick auf die Photographie. Stuttgart: Cantz 1998
Der ursprüngliche ausführliche
Titel der Magisterarbeit "Über den Begriff der Photographie bei Walter
Benjamin, zu dessen Rezeption und zu dessen Einfluß auf den sich
wandelnden Blick auf die Photographie in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts"
deutet nur an, was die dreiteilige Arbeit leistet. Zunächst in der
Untersuchung des Begriffs der Photographie bei Walter Benjamin. Hier berücksichtigt
sie erstmalig neben den bekannteren Arbeiten ("Das Kunstwerk im Zeitalter
seiner technischen Reproduzierbarkeit"; "Kleine Geschichte der Photographie"),
in die neue Einsichten gewonnen werden, weitere, bisher vernachlässigte
Arbeiten Benjamins: den "2. Pariser Brief: Malerei und Photographie", die
Rezension der berühmten Freundschen Dissertation ("Photographie und
bürgerliche Gesellschaft"), das "1. Exposé des Passagen-Werks",
und sie erschließt wichtige Quellen zur "Kleinen Geschichte [...]".
Alleine dies würde den Forderungen an eine Magisterarbeit gerecht,
doch beschränkt sich der Verf. damit noch nicht. In einem 2. Teil,
einem photographie-geschichtlichen Exkurs wird unter dem Begriff "Blickwechsel"
dargestellt, daß sich die "Photographische Gemeinschaft", worunter
der Verf. alle mit Photographie Befaßten zusammenfaßt, zunächst
nur sich selbst im Blick hatte, aus dem Medium, seine Grenzen fixierend,
den Blick nach außen richtete. Hier findet in den 60er Jahren
ein "Blickwechsel" statt, indem jetzt (nach einer Vorstufe in den 20 Jahren
vor allem im Umfeld der Dadaisten und Surrealisten) zunächst Künstler,
dann aber auch die Wissenschaft von außen auf die Photographie
blicken. Vor allem Thomas S. Kuhns "Struktur wissenschaftlicher Revolutionen"
stellt für den Verf. die Kriterien für die Herausbildung eines
Paradigmas bereit, mit Hilfe derer sich dieser Blickwechsel erklären
läßt: die Aufmerksamkeit "von außen", der "geschichtliche
Zufall", der "Triumph" einer Schule der Vor-Paradigma-Zeit und die Forderung,
daß eine "andere Wissenschaft" Träger des Interesses wird.
Dieser Blickwechsel, führt
jetzt der dritte Teil der Arbiet vor, ist wesentlich bestimmt durch eine
Rezeption der Benjaminschen Schriften über Photographie in den 60er
Jahren, die teils direkt, teil indirekt Einfluß nahmen auf neuere
Arbeiten zur Photographie. Wie im Kapitel des "Blickwechsels" die Arbeit
Kuhns, wird in diesem Kapitel Detlev Schöttkers Unterscheidung verschiedener
Aspekte der Benjamin-Rezeption wichtig: der "Fragmentcharakter", "Außenseitertum
und politische Ästhetik" und Benjamins Geschichtsbegriff.
Damit ist angedeutet, was
die vorgelegte Arbeit erstmals akribisch und überzeugend leistet:
textkritische Analyse, die Einführung der Kategorie des "Blickwechsels"
für die Geschichte der Photographie und ihre Theorie sowie drittens
den Aufweis der Rezeptionswege eines zwar nicht umfangreichen, in sich
aber komplexen Werkteils Benjamins.
R.D.