Der Zusammenhang zwischen Stimme und seelischer Verfassung hat die Menschen schon seit der Antike beschäftigt. Aristoteles war der Meinung, das in der Stimme verlautende sei ein Zeichen für die in der Seele hervorgerufenen Zustände. (12) Der Gelehrte Scotus verfaßte am Hofe des Stauferkaisers Friedrichs II. eine Typologie, in der er eine bestimmte Stimme einem bestimmten Charakter zuordnet. Gundermann zitiert daraus u.a. folgende Zuweisung: "Wessen Stimme allzu laut tönt (...), der ist (...) ein Vielfraß, selbstverliebt, wankelmütig, nicht in Furcht zu versetzen, lügnerisch und leichtgläubig." (12) Diese Zuordnung ist aus heutiger Sicht eher zweifelhaft, wenn auch kurioserweise manches aus der Zuordnung auf Conrads Kurtz bzw. James Wait zutreffen mag.
Monteverdi schreibt 1638 im Vorwort zu seinem 8. Madrigalbuch:
Ich habe erkannt, daß unsere Leidenschaften oder Gemütserregungen sich in drei hauptsächlichen Graden ausdrücken, im Zorn, besonnener Mäßigung und Demut oder Flehen; dies versichern auch die besten Philosophen, ja selbst die Natur unserer Stimme weist uns darauf hin durch ihre hohe, tiefe und mittlere Tonlage. (13)
Um die Jahrhundertwende versuchte die Psychoanalyse, über die Stimme einen Zugang zum Unbewußten zu finden.
1948 entwickelte Felix Trojan seine Theorie der universellen Schallbilder, die besagt, daß von der jeweiligen Sprachgestaltung unabhängige, ausdruckstypische Schallelemente wie Zorn, Angst, Freude oder Zärtlichkeit Auskunft geben über den aktuellen Gemütszustand. (14)
Auch die Autoren Miethe und Hermann-Röttgen meinen, daß "die psychische Verfassung des Menschen kaum irgendwo sonst so direkt und unmittelbar wahrnehmbar, 'hörbar', wird" wie in der Stimme. (15)
Ein ängstlicher, schüchterner Mensch wird eher mit leiser Stimme sprechen, ein energischer, selbstbewußter eher mit lauter Stimme. Ebenso zeigt sich das Temperament in Lautstärke und Schnelligkeit der Stimmäußerung. Diese Faktoren tragen zur gleichbleibenden Stimmqualität bei, wenn sie auch nicht unveränderbar sind wie die anatomisch determinierten Gründe einer bestimmten Stimme. Verändert ein Mensch sich charakterlich völlig, überwindet er z.B. seine Schüchternheit ein für alle Mal, so wird auch seine Stimme sich ändern.
Zu dem, was wir Augenblicksstimme nannten, gehören seelische Faktoren wie die folgenden als Ursache: Aufregung, Angst, Zuversicht, Begeisterung, Melancholie, das, was man auch Stimmung nennt. So ist es nicht weiter verwunderlich, daß Stimmung sich etymologisch von Stimme herleitet. Stimme im heutigen Sinne ist seit dem 8. Jahrhundert belegt. Im Mhd. gab es das Verb stimmen mit der Bedeutung 'eine Stimme hören lassen', 'rufen', 'mit einer Stimme versehen'. Ab dem 16. Jahrhundert wurde das Verb stimmen in der Musik verwendet, im Sinne von 'die Höhe der einzelnen Töne kontrollieren'. Ab dem 18. Jahrhundert ist Stimmung mit der Bedeutung 'Gemütszustand' belegt. (16) Auch die Komposita umstimmen, beistimmen, verstimmen, einstimmen und bestimmen sprechen vom Zusammenhang zwischen Stimmung und Stimme.
Vor allem die Wörter umstimmen und bestimmen machen noch einen zweiten Aspekt der Stimme deutlich. Stimme drückt nicht nur die psychische Verfassung der Sprechenden aus, sondern sie kann auch auf die psychische Verfassung der Hörenden einwirken.
Die Wissenschaft der Rhetorik befaßte sich schon in der Antike außer mit der Gestaltung der Rede, ihrer Einteilung und der zu verwendenden Tropen und Figuren auch mit dem Vortragen selbst und damit mit der Stimme. "Bei Cicero finden sich detaillierte und differenzierte Äußerungen zu den Qualitäten der Stimme." (17)
Welch' aufpeitschende Wirkung eine Stimme haben kann, machen nicht zuletzt die Reden Hitlers und Goebbels' deutlich. Hitler äußerte sich 1936 auf dem Nürnberger Parteitag folgendermaßen über seine Stimme:
Wie fühlen wir nicht wieder in dieser Stunde das Wunder, das uns zusammenführte! Ihr habt einst die Stimme eines Mannes vernommen und sie schlug an eure Herzen, sie hat euch geweckt, und ihr seid dieser Stimme gefolgt. Ihr seid ihr jahrelang nachgegangen, ohne den Träger der Stimme auch nur gesehen zu haben, ihr habt nur eine Stimme gehört und seid ihr gefolgt. (18)
So ist auch Marlow einer Stimme gefolgt, ohne den Träger je gesehen zu haben. Doch selbst die Stimme gab es zuerst nur in seinem Kopf.
Neben der aufhetzenden lauten Stimme politischer Reden gibt es noch die Tradition der leisen Stimme der Verführung. Die Augen kann man schließen, die Ohren nicht. In ein Ohr wispernde Lippen sind ein altes Motiv der Erotik und Verführung.
Faszination, Verführung, Erotik und Demagogie der Stimme - all dies findet sich in Conrads Texten, vor allem in Heart of Darkness, wie wir noch sehen werden. Den engen Zusammenhang zwischen Stimme und Charakter bzw. Temperament verwendet Conrad, um Menschen über ihre Stimmen zu charakterisieren und deren augenblickliche Gemütsverfassungen wie Ärger, Wut usw. über ihre Stimmqualitäten zu verdeutlichen.
2.2 Die Stimme und der Körper
Bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts verstand sich der Mensch als logisch denkendes, vernünftiges Wesen, geschaffen nach dem Ebenbilde Gottes. Zentrale Metapher für dieses Menschenbild, das vor allem von Kant geprägt war, war das Sehen. Schon für Aristoteles war das Sehen die Grundquelle von Erkenntnis und Wissen. (19) Nicht von ungefähr kann I see im Englischen sowohl eine Sinneswahrnehmung ausdrücken als auch kognitives Verstehen. Englische Dichter wie Blake, Wordsworth und Browning verstanden den Dichter als Sehenden und verwandten v.a. visuelle Metaphern; in der impressionistischen Malerei und Dichtung wurden flüchtige Eindrücke des Auges festgehalten. (20)
Doch parallel zu der das Auge, das Geistige betonenden Entwicklung, die Erfindungen wie die Photographie hervorbrachte, entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein neues Interesse am Körper. Ludwig Feuerbach sah den Menschen als natürliches Sinneswesen und Dilthey wollte den Menschen als "wollend fühlend vorstellendes Wesen" verstanden wissen. (21) Nach Darwin konnte der Mensch sich nicht mehr als rein geistiges Wesen verstehen, sondern mußte seine körperliche Eingebundenheit in die Evolution akzeptieren. Die Schriften Freuds beschrieben den Menschen als Wesen, das durch körperliche Triebe determiniert wird. Wundt untersuchte die körperlichen Grundlagen für das menschliche Seelenleben und Kretschmer entwickelte eine Typologie, die vom Körperbau auf den Charakter schließt.
Das Augenmerk der Menschen wurde zusehends auf den Körper gerichtet und damit unter anderem auch auf die Stimme, auf den sprechenden, schreienden, flüsternden Körper. Wagner war der erste Komponist, der seine Sänger hysterisch schreien ließ. (22)
Gründliche medizinische Forschungen über die Stimme begannen. 1855 wurde der Kehlkopfspiegel erfunden, mit dem man die Stimmlippen untersuchen konnte und der Einblick in die Mechanik und den Ablauf des Stimmapparates ermöglichte. (23) Theorien über Stimmbildung und Sprechtechniken entstanden. Die neue Wissenschaft der Stimmphysiologie erkannte, daß vor allem anatomische Faktoren die typische Stimmqualität des Menschen determinieren. So hat ein Mann in der Regel längere Stimmbänder und einen größeren Kehlkopf, was zur Folge hat, daß seine Stimme tiefer klingt. Auch die Körpergröße spielt eine Rolle. Größere Menschen haben tiefere Stimmen als kleinere. Ebenso hat die physiologische Bildung des Brustraums, der Mundhöhle und der Stimmlippen Einfluß auf die Stimmfarbe. Wie der Körper des Menschen, so altert auch seine Stimme. Auch schwere körperliche und seelische Erkrankungen Können auf die Stimme schlagen. (24)
Neben der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Stimme waren es vor allem technische Erfindungen wie das Mikrophon, das Telephon und der Phonograph, die die Aufmerksamkeit auf die Stimme lenkten. Durch Edisons 1877 entwickelten Phonographen war es nun zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit möglich, Laute aufzuzeichnen und zu konservieren. Dies hatte nach Kittler zwei wichtige gesellschaftliche Auswirkungen:
Während Ohren aus dem Dröhnen und Rauschen der Welt das Wichtige herausfiltern, nämlich Stimmen, Wörter und Töne, verzeichnet die Maschine alle akustischen Ereignisse der durch Verkehr, Maschinen und Menschen immer lauter werdenden Welt gleichermaßen. "Damit wird Artikuliertheit zur zweitrangigen Ausnahme in einem Rauschspektrum." (25) Diesem Rauschspektrum entspricht Conrads "chaos of speech" (NN, S. 79). Das Ohr ist überfordert, es versteht nicht mehr.
Zum zweiten wird durch die Erfindung des Phonographen sowie des Telephons die vom Körper getrennte Stimme zur Alltäglichkeit. Eine Stimme setzt nicht mehr notwendigerweise einen Körper voraus. Der Körper stirbt, doch die Stimme überlebt ihn, eingegraben in die Rillen des Phonographen. Dies lenkt den Blick der Menschen auf die Vergänglichkeit des Körpers. Die Stimme ist nicht mehr Ausdruck der Seele, auch wenn die Menschen das nicht wahrhaben wollten. Ernst von Wildenbruch sprach 1897 folgendes auf eine Walze des Phonographen: "Vernehmt denn aus dem Klang von diesem Spruch die Seele von Ernst von Wildenbruch". (26) Doch nicht die Seele des Dichters vernehmen wir, wenn wir die alte Walze abspielen, sondern eine sterbliche Stimme, ein Geräusch, das ein schon lange toter Mensch macht. "Das Rad der Medientechnologie läßt sich nicht zurückdrehen und die Seele, das Imaginäre aller klassisch-romantischen Lyrik, nicht zurückbringen." (27)
Noch drastischer sieht Weiss die aufgenommene Stimme als die gestohlene Stimme, die zum Sprecher zurückkehrt als
the hallucinatory, disembodied presence of another. This other's voice may be the voice of God - the acousmetric voice: ubiquitous, panoptic, omniscient, omnipotent - as is so often the case in schizophrenic projections.(...) These projections produce a divine or diabolical presence miraculously speaking forbidden thoughts or unspeakable desires or unbearable prohibitions. (28)
Weiss erwähnt Conrad mit keinem Wort, doch das Zitat klingt wie eine Interpretation von Heart of Darkness. Hier treffen sich die Theorie von Weiss über das Radio und die Interpretatoren von Heart of Darkness, die die Faszination Marlows für Kurtz psychoanalytisch als Projektion seiner unterdrückten Begierden und unbewußten Triebe deuten, wie z.B. Adelman, Cox und Guerard. Daß sich über die Stimme eine solche Beziehung herstellen läßt, wurde allerdings noch nie gesehen, mit Ausnahme der Theorie von Kahane, die jedoch in eine andere Richtung geht. (Vgl. Kapitel 5)
In allen von mir untersuchten Werken Conrads ist die Betonung der Stimme offensichtlich. Gleichzeitig werden die Körper seiner Figuren als hohl, leer, schattenhaft, schwindend beschrieben. Woher kommt diese merkwürdige Verknüpfung des schwindenden Körpers mit der starken und faszinierenden Stimme? Es mag sein, daß die eben dargestellte Entwicklung Conrad in der Wahl seiner Metaphorik beeinflußt hat. Wir werden sehen, ob sich noch mehr Ansätze finden lassen und ob diese an den drei untersuchten Werken verifizierbar sind.
Zur besseren Verständlichkeit wurde der Zusammenhang zwischen Stimme und Seele bzw. Stimme und Körper getrennt untersucht. Doch natürlich läßt sich dieser Ansatz praktisch nicht lange verfolgen. Denn es ist ja gerade das bestechendste Merkmal der Stimme, daß sie zwischen Körper und Seele steht, daß sie einerseits den sprechenden Körper verlautet und andererseits auf die Stimmung des Menschen, also seinen Seelenzustand, verweist.
2.3 Die Stimme in der Literatur
In der Geschichte des englischen Romans vor Conrad schenkten die Autoren den Stimmen ihrer Charaktere wenig Aufmerksamkeit. Jane Austen benutzt als Dialog einführende Verben nur "said" und "cried". Chapman führt dies auf das gemäßigte Temperament ihrer Charaktere zurück, die nur wenig und nur kleine emotionale Krisen durchmachen. Seeber weist darauf hin, daß zu Austens Zeit das Hauptaugenmerk auf dem Inhalt der Aussage war, und nicht darauf, mit welcher Stimme sie gemacht wurde. "The individual's identity was supposed to unfold itself in his acts and the content of his speeches." (30)
Doch die Betonung der Leidenschaften in der Gothic Novel sowie die allgemeine Entwicklung des psychologischen Realismus bei George Eliot und anderen richteten das Augenmerk der Autoren und Leser zunehmend auch auf den Tonfall zur Repräsentation von Individualität. (31)
Als Dialog einleitendes Verb wird im Monk von Matthew Gregory Lewis vor allem "said" verwendet, meist wird der Dialog gar nicht eingeleitet. Doch die Stimme des Helden Ambrosio wird häufig beschrieben, um seine emotionale Aufgewühltheit zu bezeichnen. So findet sich auf zwei Seiten einmal "faint and trembling voice" und einmal "hurried faltering voice". (32)
In Emily Brontes Wuthering Heights finden sich nach Chapman auf zwei Seiten folgende Verben, die einen Sprechakt einleiten: "murmur", "interrupt", "continue", "ask", "reply", "say", "inquire", "pursue", "insist", "gasp". (33) Außer "murmur" und "gasp" sind alle diese Verben unmarkiert.
Bei George Eliot fand Chapman in The Mill on the Floss folgende Stimmbeschreibungen: "in a low tremulous voice", "a voice of harsh scorn" und "in a convulsed voice." Vereinzelt ist auch bei Trollope, Dickens oder Thackeray einmal ein Verb wie "gurgle", "sob" oder "growl" zu finden. Ein schönes Beispiel dafür, wie eine Stimmbeschreibung als Metapher verwendet wird, um einen glatten Höfling zu charakterisieren, fand Chapman in Trollopes Ralph the Heir: "... a soft, greasy voice, made up of pretence, politeness and saliva...". (34)
Doch nirgends zuvor sind Verben des Sprechens und Stimmbeschreibungen in einer solchen Anzahl und Differenziertheit zu finden wie bei Conrad.
Eine moderne Grammatik (35) führt unter dem Wortfeld "Verbs of manner of speaking" 77 Verben auf, von denen ich immerhin 38 in den drei von mir untersuchten Werken von Conrad gefunden habe. Es sind dies die folgenden Verben:
babble, bawl, bellow, bleat, call, chatter, croak, cry, groan, growl, grumble, grunt, hiss, hoot, howl, jabber, moan, mumble, murmur, roar, rumble, scream, screech, shout, shriek, sing, snarl, splutter, sqeak, stammer, thunder, wail, whimper, whine, whisper, whistle, yell, yelp.
Außer diesen Verben finden sich bei Conrad noch 16 andere, die die Grammatik zum Wortfeld "Verbs of nonverbal expression" zählt, die aber auch als Verben des Sprechens verwendet werden können. Es sind dies Verben, die mit Lachen zu tun haben ("chuckle", "giggle", "guffaw", "jeer", "laugh" und "titter") oder mit Weinen ("blubber", "sob"). Außerdem alles, was mit sonstigen Lautäußerungen zusammenhängt wie "buzz", "cough", "gasp", "gurgle", "hum", "sigh", "snore". Zwei ungewöhnliche Verben, die Conrad als Verben des Sprechens verwendet und die in der Grammatik nicht erscheinen, sind "ejaculate" im Sinne von 'aufschreien' und "pshaw", das es eigentlich nur als Interjektion gibt, aus dem Conrad jedoch ein Verb macht. "Captain MacWhirr pshawed at it, ..." (T,S.85) Diese Betonung von Stimmqualität wäre im Roman des 18. und 19. Jahrhunderts undenkbar gewesen.
Die große Veränderung, die zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert stattfand, läßt sich gut an einem Beispiel aus der deutschen Literatur zeigen. Vergleicht man Eichendorffs Marmorbild und Thomas Manns Tristan, so fällt folgendes auf:
Eichendorff verwendet die Stimme rein allegorisch: die Stimme der Gefahr, der Verführung, die Freundesstimme als warnende Stimme. Thomas Mann dagegen beschreibt individuelle Stimmen, die wirklichen Personen gehören könnten und die zur Charakterisierung eines Individuums beitragen. Spinell spricht schlürfend, gedämpft und zögerlich-leise, während Klöterjahn laut und gutgelaunt dröhnt. Bei Conrad finden sich sowohl die individuelle Charakterisierung über die Stimme als auch die allegorische Verwendung.
Was ist zwischen Eichendorff und Mann geschehen? Neben der erhöhten Aufmerksamkeit für den Körper, hervorgerufen durch Darwinismus, Psychologie und Philosophie, sowie technische Erfindungen wie den Phonographen, gab es noch eine weitere, für die Autoren wichtige Veränderung, die etwas mit der neuen Verwendung von Stimme zu tun haben könnte.
Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts entstand bei immer mehr Autoren der Verdacht, daß Sprache menschliche Erfahrungen und sinnliche Wahrnehmungen nur unzureichend vermitteln kann. Rimbaud, Mallarm‚ und Dostojewski zweifelten an der Aussagekraft ihrer Worte. (36) Hofmannsthal
beschreibt im Chandos-Brief, daß die Worte wie "modrige Pilze" im Munde zerfallen. (37) Und Conrad schreibt am 14.1.1898 an Cunningham Graham:
Half the words we use have no meaning whatever and of the other half each man understands each word after the fashion of his own folly and conceit. (...) As our peasants say: 'Pray, brother, forgive me for the love of God.' And we don't know what forgiveness is, nor what is love, nor where God is. (38)
Mauthner sprach der Sprache jede Möglichkeit der Wirklichkeitserkenntnis ab. Moderne Sprachen sind für ihn degenerierte Spielzeuge, unfähig, Gefühle auszudrücken, Wissen zu vermitteln oder wirkliche Kommunikation zu ermöglichen. (39)
Die Inhalte, die Signifikate werden also zweifelhaft. Dies lenkt den Blick auf die Signifikanten, auf die lautliche Form der Worte. Vielleicht steckt mehr Wahrheit darin, wie etwas gesagt wird, als in der Aussage selbst. So schreibt Conrad im Vorwort zu A Personal Record: "The power of sound has always been greater than the power of sense." (40)
In der Erzählung "Return" findet sich eine Stelle, die dies sehr schön veranschaulicht.
...a look that had all the formless eloquence of a cry. It penetrated, it stirred without informing; it was the very essence of anguish stripped of words that can be smiled at, argued away, shouted down, disdained. (41)
Dieses Zitat zeigt nicht nur, daß Conrad der Stimme, dem Schrei mehr Macht zutraut als Worten, die wegargumentiert werden können, es zeigt auch eine für Conrad typische Synästhesie, die Vermischung eines Seh- und Höreindrucks. Doch dazu mehr in den folgenden Kapiteln.
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