In dem gläsernen Würfel des Berlin-Pavillons am Bahnhof Tiergarten reiht sich eine Stellwand an die andere, überflutet vom hellen Tageslicht. Sie sind mit Großfotos alter und neuer Berliner Kulturbauten bedeckt. Da wird anläßlich der jetzt eröffneten Berliner Bauwochen präsentiert, was alles in den Jahren seit dem 2. Weltkrieg an Bauten errichtet wurde oder noch im Entstehen begriffen ist, die als Hort der Kultur gelten sollen.
So wurde eine vorzügliche Schau eingeleitet, und der wache Blick findet dort wenig Gelegenheit zu Beanstandungen. Mag es auch über die Akademie der Künste einander widersprechende ästhetisch-kritische Urteile geben, die Kongreßhalle, die Amerika-Gedenkbibliothek, der Henry-Ford-Bau der Freien Universität, die Studentensiedlung Sigmundshof, die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und viele andere Gebäude sind jedenfalls Marksteine einer neuzeitlichen Baukultur von internationalem Ruf.
Vielleicht ist es mehr als ein Zufall, wenn gerade zu diesen Bauwochen in der Galerie Diogenes die von Dr. Ulrich Conrads inspirierte und mit finanzieller Unterstützung des Bausenats bewirkte Ausstellung der Werke Hermann Finsterlins inszeniert werden konnte. Unter dem Jubel begeisterter Jünger der Baukunst und Künstler aller Sparten sprachen in dem überfüllten Kunstkabinett Architekt Dr. Luckhardt, Oswald M. Ungers und der 75jährige Autor selbst am Eröffnungstage einleitende Worte. Finsterlin, Maler, Schriftsteller, Architekt, ist einer der Mitbegründer der "phantastischen Architektur" in unserem Jahrhundert. Intuitiv schuf er bereits vor über fünfzig Jahren Bauformen in Modellen, deren Ausführung bei dem gegenwärtigen Stande der Bautechnik kein Problem mehr ist.
Er hat das Verdienst, als einer der entschiedensten Gegner der "Neuen Sachlichkeit" der Architektur weitreichende Impulse vermittelt zu haben, die heute weiterwirken, wenn auch seine Bemühungen ein halbes Jahrhundert lang totgeschwiegen wurden. In dieser Hinsicht gehört die kleine Ausstellung zu den bedeutendsten Beiträgen [der] Berliner Bauwochen.
[Der Tag, 4. September 1962; Filder-Zeitung, 4. September 1962]