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Die bisherigen Lektionen haben gezeigt, daß für die Geschichte des Hörspiels von Anfang an eine Fülle des Angebots, eine Breite der Möglichkeiten zu beobachten ist, daß die kritische und theoretische Diskussion über das Hörspiels diese Variationsbreite immer wieder bestätigte. 1929 deutet Hans Roeseler mit dem Hinweis auf so unterschiedliche Hörspieltypen wie Bertolt Brechts "Lindberghflug", Arnold Bronnens "Michael Kohlhaas" und Friedrich Bischoffs "Hörspiel vom Hörspiel" diese Variationsbreite an. Und noch 1933 kann Arno Schirokauer (in eigener Sache) überspitzen:
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Der Begriff Hörspiel gestattet jedem, alles, was er will oder kann, darunter zu vorstehen. Daher die siebenjährige und nicht sehr ergebnisreiche Auseinandersetzung.
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Und Schirokauer kann fragen:
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Ist Hörspiel das hörbar gemachte Schauspiel? Die Übersetzung des Seelendramas ins Akustische, wodurch es Leibeserbe der attischen Tragödie würde? Muß es vor dem Mikrophon spielen wie das Schauspiel vor dem Parkett? Muß es überhaupt spielen? Oder ist es Zeitung, die statt Buchstaben Stimmen in die Ohren der Hörer drückt? Vermittelt es Erkenntnisse? Dient es der Belehrung und zugleich der Unterhaltung? Waren Lindberghflug - Leben in dieser Zeit - Magnet Pol - Wetterkantate - Räuberhauptmann Kokosch Hörspiele? Man sendet unter Stimmen aufgeteilte Aufsätze, hymnische Selbstgespräche, überlegte und festgelegte Streitgespräche, Anrufungen der Elemente, Balladen, Fragegespräche, Auftritte, Hörberichte, Lyriken, Urkunden, Zeugnisse, Belehrungen und Traumdichtungen (...). Das alles gibt es, und es gibt niemanden, der behaupten kann, ein einziger dieser Bestandteile sei für das Hörspiel verboten."
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Dennoch läßt sich, wenn auch zunächst ein wenig an der Oberfläche für die ersten sechs Jahre Hörspielgeschichte durchaus so etwas wie eine Gliederung vornehmen. Dabei könnte man von den Jahren 1924/1925 von einer ersten Phase sprechen, deren Produkte wesentlich durch ein Interesse an der Darstellung fingierter oder echter Katastrophen charakterisiert sind. Und damit durch den Versuch, den Hörer zum scheinbar zufälligen Ohrenzeugen einer Sensation zu machen. Hier spannt sich der Bogen von der literarischen Fiktion einer Grubenkatastrophe über die fingierte Schiffskatastrophe mit bewußter Brechung der medialen Illusionsmöglichkeit, über die Eisenbahnkatastrophe bis zu dem Versuch einer Rundfunkgroteske, in der das neue Medium selbst, übrigens wiederum mit spielerischer Illusionsbrechung, zum Inhalt eines Sendespiels wird.
Dem folgt von 1926 bis 1928 eine zweite Phase der konsequenten Erprobung der Materialien und medialen Möglichkeiten. An die Stelle der fingierten oder echten äußerlichen Katastrophe tritt in zunehmendem Maße so etwas wie eine primär akustische Sensation, eine Hörsensation, wenn man den von Heißenbüttel in weiterem Sinne gebrauchten Terminus einschränkt auf eine ans Medium gebundene, nur durch das Medium zu vermittelnde und von ihm gelöst nicht mehr existente Sensation. Diese Entwicklung läßt sich etwa ablesen an den Versuchen Alfred Brauns mit dem sogenannten akustischen Film bis zu jener Tonmontage Walter Ruttmanns, über die wir leider viel zu wenig wissen, und führt schließlich zu den nicht nur für die Geschichte des Features so wichtigen "Hörfolgen" Bischoffs und Schirokauers, zu den "Aufrissen" Edlef Koeppens und Brauns. Hermann Pongs hat 1930 in seiner Stuttgarter Antrittsrede über "Das Hörspiel" Zweifel am Wesen der Rundfunkaufgabe und -wirkung formuliert:
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Sie will Kunst, aber sie will zugleich die Sensation der Neuheit für die Masse.
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Ich meine dagegen, daß man diese Doppelung gleichsam als Impetus der beiden ersten Phasen Hörspielgeschichte verstehen könnte, ja daß dieses "zugleich" auch noch Charakteristikum einer dritten Phase der Hörspielgeschichte ist, die circa 1929
einsetzt mit der Darstellung sich ereigneter sensationeller Begebenheiten in zeitlicher Nähe zu ihrer Darstellung. Wir haben diese Phase mit Ernst Johannsens "Brigadevermittlung" belegt, mit Friedrich Wolfs "SOS ... Rao, rao ... Foyn" und Brechts "Lindberghflug", und zusammengefaßt, daß es in diesen Hörspielen darum ging, Wirklichkeit zu interpretieren, einen singulären Fakt, ein aktuelles Ereignis zum Modell zu verallgemeinern. Dabei unterschieden sich die beiden letztgenannten Hörspiele von der "Brigadevermittlung" bzw. Wolfs Hörspiel über die Italia-Katastrophe von dem thematisch vergleichbaren und wegen seiner angeblich größeren literarischen Qualitäten von Schwitzke bevorzugten "Malmgreen" Walter Erich Schäfers wesentlich dadurch:
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daß künstlerische Gestaltung und ästhetisches Ergebnis nicht auf ontologische, sondern auf soziologische Konstellationen bezogen sind,
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daß die "Einzelteile, die Dinge" geladen sind "von dem zugrunde liegenden ideologischen Bezugssystem her". (So Volker Klotz allgemein zu den Lehrstücken Brechts.)
Es ist die Brecht/Wolfsche Intention des "Produktivmachens" des neuen technischen Mediums, der "Umfunktionierung des Hörspiels" und "- für die Sendezeit - des Rundfunks im gesellschaftlich progressiven Sinne" (Hähnel), es ist der von Brecht geforderte "Aufstand des Hörers, seine Aktivierung und seine Wiedereinsetzung als Produzent" - die diese Hörspiele von den zahlreichen sozial- bzw. gesellschaftskritischen Hörspielen der Zeit als - wie man etikettieren könnte - Typ des "sozialistischen" Hörspiels abheben.
Beide aber unterscheiden sich deutlich von einem dritten Typ des dichterischen, beziehungsweise, wie Schwitzke es sieht, "eigentlichen" Hörspiels. Die letzte Lektion über Eduard Reinachers "Narr mit der Hacke" ließ - so hoffe ich - erkennen, wie problematisch und von geschichtlich überholten literarischen Kriterien ausgehend das "Horoskop" war, das Richard Kolb dem Hörspiel 1930 stellte.
Ganz anders und eigentlich weitsichtiger, wenn auch zunächst von mehr äußeren Kriterien ausgehend, hatte dagegen Pongs in seinem gleichzeitigen Versuch über "Das Hörspiel" für das - wie er es nennt - "Hörwerk" zwischen den Typen bzw. Grundformen des Funkspiels, der Funkdichtung und des Funkoratoriums unterschieden. Er bezog sich dabei allerdings auf von Kolb und noch 1962 in Schwitzkes "Dramaturgie und Geschichte des Hörspiels" kaum oder nur in kritischer Einschränkung behandelte Autoren und Hörspiele wie Wolfs "SOS ... Rao, rao ... Foyn" und Brechts "Lindberghflug", auf Bronnens "Michael Kohlhaas" und Hans Kysers "Prozeß Sokrates" auf Schirokauers und Erich Kästners "Leben in dieser Zeit". Und Pongs erkannte - in Abgrenzung des Hörspiels gegenüber der traditionellen Dramen- und Novellenliteratur - :
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Was dem Rundfunk verloren geht an unmittelbarer Tiefenwirkung individueller Tragik, (...) das wächst ihm zu an Wirkung in die Breite, als Anspruch an Alle.
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So könne das Hörspiel bei Zurücktreten "individueller Tragik" "Lebensfragen des größeren Miteinander" behandeln. Eine solche Argumentation würde erklären, warum das Hörspiel in seiner dritten Phase neben dem Typ eines problematischen dichterischen vor allem die beiden Typen des sozialkritischen und des sozialistischen Hörspiels ausbildet.
Eugen Kurt Fischer hat diese Hörspieleinschätzung Pongs zu problematisieren versucht:
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Freilich blickt Pongs, wenn er so formuliert, nur auf einen damals neuen, allerdings höchst funkgemäßen Typ des theaterfernen Hörspiels, wie er von fast allen Autoren vertreten wurde, von denen er im folgenden Werke analysiert, die eben erst entstanden waren. Die Sprache ist für Pongs nicht mehr Ausdruck des Individuums, sondern "Kulturschöpfung der Gemeinschaft". Diese gewollte Entpersönlichung der Gesprächspartner war vom Expressionismus vorexerziert worden, der Kommunismus erhob sie zum Prinzip und der Nationalsozialismus benutzte sie dann vollends zur Aushöhlung des Individuums im Zeichen der "Gleichschaltung". Von den besten Möglichkeiten des Hörspiels führte diese Forderung weit weg, aber die Beispiele, die sich zur Analyse boten, schienen Pongs recht zu geben.
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Es ist hier nicht die Zeit, diese Ausführungen Fischers ausführlicher zu diskutieren. Immerhin ließen sich dem Pongschen Hörspielverständnis, seiner Hörspieleinschätzung weitere Hörspiele der damaligen Zeit unterordnen. Und was die "Entpersönlichung der Gesprächspartner" anbetrifft, hatte ja schon Döblin erklärt:
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Ich bin ein Feind des Persönlichen. Es ist nichts als Schwindel und Lyrik damit. Zum Epischen taugen Einzelpersonen und ihre sogenannten Schicksale nicht. Hier werden sie Stimmen der Masse, die die eigentliche wie natürliche epische Person ist."
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Will man problematisieren, scheint mir sinnvoller, zu fragen, wie es kommt, daß ohne Widerspruch Scherchen 1930 die von Pongs richtig gesehenen Intentionen des Brechtschen "Lindberghflugs" gleichsam veropern und so ästhetisieren konnte, daß die Nationalsozialisten 1933 Kasacks "Der Ruf" umfunktionieren und politisch mißbrauchen konnten, daß eine derart geschmacklose Verkitschung und Verharmlosung des Kinderelends möglich war, wie sie beispielsweise ein erhaltenes historisches Tondokument darstellt:
Einspielung
Der Grillengeiger
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Einen Zeitbezug - wenn auch wesentlich versteckterer Art als die bisher genannten Beispiele - hat auch das Hörspiel unserer heutigen Lektion: Hans Kysers "Ankommt eine Depesche". Nachdem sich Kyser bis Ende der zwanziger Jahre vor allem dem neuen Medium Film gewidmet hatte - sein Faust- und Lutherfilm z.B., seine Tonfilme "Der Kurier des Zaren" und "Der Student aus Prag" haben in der Geschichte dieses Mediums nicht zu Unrecht ihren Stellenwert - stürzte er sich Ende der zwanziger Jahre mit einer ihm eigenen Intensität plötzlich darauf
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auch die verborgenen Gesetze des Rundfunks zur Darstellung seelischer Vorgänge und dramatischen Geschehens aufzuspüren.
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Nach zwei Sokrates-Hörspielen 1929 ("Prozeß Sokrates" und "Der Tod des Sokrates"), einem - wie Kyser es nannte - "Revolutionsspiel" ("Der Sturz der Verdammten") brachte die Berliner Funkstunde unter der Spielleitung des Autors 1931 an drei Abenden eine Hörspieltrilogie "Der letzte Akt", deren Mittelteil, "Ankommt eine Depesche", mehrfach gedruckt, 1962 als selbständiges Hörspiel vom NDR noch einmal neu produziert wurde.
Dabei ist das Fehlen eines historischen Tondokumentes ebenso bedauerlich wie eine nur partielle Neuproduktion der Trilogie. Zum einen, weil es sicherlich aufschlußreich wäre, die von der Hörspieltheorie so gerühmte "bittere Ironie" Kysers, die "noch heute zeitbezüglich und zeitanzüglich" wirke, einmal im Kyserschen Sinne abzuhören. Zum zweiten, weil "Der letzte Akt" als Trilogie in sich derart durchkomponiert ist, daß das Herauslösen des Mittelteils den Absichten Kysers kaum gerecht wird. Kyser hat 1931/1932 den sowohl formalen wie thematischen Zusammenhang seiner Trilogie ausdrücklich betont:
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Dieses Werk (...) stellt den Versuch dar, ein großes, für unser Jahrhundert entscheidend wichtiges Geschehen allein durch das Ohr einzufangen. Ich habe diese Trilogie nicht ihrem Wert, sondern der Form nach mit den Trilogien der antiken Tragödie verglichen. Man könnte, geht man vom Thematischen aus, auch den Vergleich mit einer Symphonie wagen. Das Scherzo liegt dann am Anfang, dem ersten Teil Wiener Kongreßwalzer, das Allegro von fuoco im zweiten Teil, Ankommt eine Depesche..., und der heroisch tragische Satz am Schluß: Die Toten marschieren. Es ist der letzte Akt der Weltkriegstragödie Napoleons, den uns zu Beispiel und Lehre die Geschichte selbst in unnachahmlicher Größe vorgedichtet hat.
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Läßt man zunächst einmal Kysers Auffassung von Geschichte, wie sie hier formuliert wird, ebenso außer Acht wie den sicherlich nicht nur für einen Musikhistoriker etwas befremdlichen Vergleich mit dem thematischen Aufbau einer Symphonie, so ist recht aufschlußreich, daß die zeitgenoässische Kritik in der historischen Thematik nicht nur, im Gegensatz etwa zu Schwitzke, "keinen Verstoß gegen alle Gesetze des Hörspiels sah, sondern von Kysers Trilogie gar als von einem "Hörspiel (...) im besten Sinne" sprach:
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Dieses Hörspiel nun erfüllt vorläufig im besten Sinne das, was - nach Flesch von einem Hörspiel zu fordern ist. Hier ist nämlich der Funkmimus gefunden, die musikalisch untermalte Mimesis der Historie. Nicht die Historie selber, nicht die Staatsaktion, nicht die Problematik der Geschichte - sondern das Spiel mit den erhabenen Puppen der Weltgeschichte. Mimus: spielende Nachahmung des Lebens, um Lachen zu erregen - das wurde hier in einem für unsere Zeit, unsere Menschen abgedämpften Stil durchs Ohr gezaubert. Und damit war wieder einmal vom alten Mimus her, diesem Welttheaterspiel "jenseits von Gut und Böse", die gültige Form gefunden, diesmal für die neueste Bhne, die unsichtbare Szene des Hörspiels.
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Wobei - in Paranthese bemerkt - dem Literaturhistoriker der leichtfertige Gebrauch von "Mimus" und der anachronistischen "Mimesis" ebenso befremdlich ist wie dem Musikhistoriker der Kysersche Vergleich mit einer Symphonie. Allenfalls hat Kysers Trilogie etwas von dem Versuch eines säkularisierten Welttheaters, in der Einfügung von Theaterspiel ins Spiel des ersten Teils, in der alle drei Teile gliedernden allegorischen Stimmenreplik der "Zeit" im Auftreten der lustigen Figur des "Staberl" und ähnlichem.
Für unseren Zusammenhang interessanter ist der Zeitbezug der Trilogie, den der "Hörspielführer" wie folgt formuliert:
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Die Darstellung der Hundert Tage persiflierte 1931 die Schwäche der damaligen deutschen Demokratie und die Heraufkunft ihres Zerstörers,
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während Schwitzke diesen Zeitbezug gleichsam noch auf die Gegenwart ausgedehnt wissen möchte:
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(...) das anekdotische Napoleon-Stück (...) wirkt gerade durch die Ironie noch heute zeitbezüglich und zeitanzüglich. Zwar kann Hitler selbst nicht mehr wiederkommen, weder aus Elba noch aus Südamerika, aber ob es nicht auf etwaige Depeschen, die er aus dem Jenseits schickte, ähnliche Reaktionen gäbe?
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Allerdings ist gerade die Figur Napoleon - wenn man nicht nur den Mittelteil herauslöst sondern die ganze Trilogie nimmt - viel zu wenig eindeutig, und, ganz abgesehen von dem in Kysers eigenen Worten "heroisch-tragischen Schluß", trotz eines deutlich herauslesbaren Interesses Kysers, viel zu schillernd, als daß sie sich so einfach mit Hitler gleichsetzen ließe.
Gewiß aber spielt Kyser auf "die Schwäche der damaligen deutschen Demokratie", auf die Schwäche der damals staatstragenden Parteien und ihre Zersplitterung an, wie er es bereits in dem ebenfalls im Druck zugänglichen "Prozeß Sokrates" getan hatte.
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Von Deutschland wollt ihr natürlich nix wiss'n?!
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fragt z.B. der Staberl im ersten Teil. Und antwortet auf den Zuruf: "Wir möchten's schon, wenn wir nur in d'neue Bundesverfassung 'nen Anschluß krieg'n!
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Da wart'ts noch a Jahrhundert'l! Obacht,
Kapellmeister. I sing nu von Deutschland, das Tempo getrag'n, wie bei a
fröhlicher Leich
(singt)
Nur in Deutschland is nix z'machen,
Da lieg'n umgekehrt d'Sachen,
Schon der Säugling in d'Wieg'n
Will d'Franzosen bekrieg'n.
Neunundneunzig Parteien
Nach der Einigkeit schreien,
Nix z'leben, nix z'sterben,
Alle Welt will's beerben,
Wart't gierig auf sein Auflösung,
(niest) Atzi! Zur Genesung!
So hätt's Leben in Deutschland
recht a dreckig's G'sicht.
Aber die Weltg'schicht sagt: Justament
nicht!
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Hier und an anderen Stellen, im dritten Teil der Trilogie etwa in den Figuren der beiden Rothschildagenten Titelbaum und Rothworth -
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Auf einer anderen Höhe schußsicher
und gut
Stehn zwei Agenten Rothschilds: der
eine ein Jud
Aus Frankfurt, der andre ein Musterchrist
Aus dem allerchristlichsten England
ist -
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die die Schlacht bei Waterloo immer wieder mit ihren Kommentaren begleiten, wird dem aufmerksamen Hörer eine Haltung Kysers in Andeutungen faßbar, die Kyser 1933 eine
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unter nationaler Führung stehende deutsche Kulturpolitik
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fordern und ihn schließlich im Lennartz von 1941 zum
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Dichter ostdeutschen Grenzlandschicksals
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avancieren ließ. Allerdings noch nicht bzw. nicht mit seinen von uns genannten Hörspielen oder Filmen, die Lennartz nur namentlich als Zeugnisse "für den Funkdichter, der auch bedeutende Filme" geschaffen habe, aufführt. Diese politische Entwicklung Kysers, deren Grundhaltung sich der Napoleon-Trilogie in Ansätzen bereits abhören läßt, fand gleichsam parallel in "kämpferischen Dramen" statt, deren Beschreibung wir wiederum dem Lennartz von 1941 entnehmen können:
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Nach über 10jährigem Schweigen leitete er mit dem Entdeckerschauspiel "Columbus" (29) eine Reihe kämpferischer Dramen aus dem Geiste deutscher Wiedergeburt ein. Ersten Höhepunkt bildet das tragische Heerführerschauspiel "Schicksal um Yorck" (29, Urauff. 33) aus den Freiheitskriegen, dann folgen die vielgespielten, aufrüttelnden Schauspiele vom Grenzlandschicksal deutscher Volksgruppen im Osten, "Es brennt an der Grenze" (31) und "Wolken am Horizont" (37). Das Schauspiel "Schillers deutscher Traum" (34) ist mit symbolhaften Szenen um Schiller in Paris gegen den Geist der Französischen Revolution gerichtet.
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Wobei sich für das vorausgehende "Revolutionsspiel" von 1929, "Der Sturz der Verdammten", Ähnliches wie zu der Napoleon-Trilogie anmerken ließe.
Wie sehr Kyser den "letzen Akt" selbst politisch eingeschätzt hat, läßt sich bisher lediglich aus einer Pro-Domo-Äußerung in "Rufer und Hörer" herauslesen, die ich auch deshalb abschließend als Inhaltsangabe für die gesamte Trilogie zitieren möchte, weil wir im Anschluß - wie schon gesagt - nur den mittleren Teil vorstellen können, dazu in einer die politischen Zeitbezüge völlig überspielenden Neuproduktion, und weil auch der "Hörspielführer" ärgerlicher weise lediglich eine Inhaltsangabe dieses mittleren Teiles gibt.
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Wir hörten die Puppen des Wiener Kongresses tanzen, während Napoleon schon auf Elba seine grandiose Flucht vorbereitet. In die Späße der Wiener lustigen Figur, des Staberl, schallt im Angesicht der vorbeikreuzenden feindlichen Bewachungsschiffe die Proklamation Napoleons an sein Heer hinein. In Wien Paraden, Siegesfest, Feuerwerk und große diplomatische Polonaise, Napoleon setzt seinen Fuß wieder auf die französische Küste, der Narr tritt ab vom Schauplatz, den der Held besteigt. Wir folgen im zweiten Teil dem Triumphmarsch Napoleons über die Alpen bis nach Paris, als Gegenspieler den dicken König Ludwig und die korrumpierte französische Presse. Jäher noch als der erneute Aufstieg des Kaisers zu höchster Macht vollzieht sich sein Absturz. Die Schlacht von Belle-Alliance, eine der entscheidendsten der Weltgeschichte, tobt. England und der Kapitalismus Europas, im Hause Rothschild zu stärkster Macht gekommen, treten als Gegenspieler auf. In der Verblendung seines vorbestimmten Schicksals rettet sich Napoleon auf den Bellerophon. Wir folgen seinem Weg nach St. Helena mit dem Chor der hunderttausend Toten, die von allen Schlachtfeldern her den Gestürzten wie den Schattenzug seines eigenen Lebens begleiten.
WDR III, 15.7.1971